Als erfolgreicher Unternehmer gilt in Europa, wer Mehrwert und Stellen schafft, in den USA, wer möglichst viel Geld macht: Was die beiden Wertsysteme voneinander lernen könnten.

Donald Trump und Miss California: Angesehen, weil erfolgreich. (keystone)Als in den USA lebender Schweizer Unternehmer werde ich oft nach den Unterschieden gefragt, die zwischen den USA und Europa bestehen. Genauer: Warum die USA so viel mehr erfolgreiche Startups hervorzubringen scheinen, während Europa schwer hinterher hinkt.

Um es vorwegzunehmen: Es liegt nicht an Technoparks oder Steuervorteilen für Unternehmer, also jenen Dinge, welche Politiker so gerne in den Vordergrund rücken.

Die zahlreichen Unterschiede lassen sich vielmehr auf zwei Dinge herunterkochen: Die Marktgrösse und das Wertsystem der Gesellschaft. Und beide sind leider schwer oder unmöglich kopierbar.

Die Marktgrösse ist leicht zu erklären:

Die USA sind das einzige Land der Welt, das auf einen Binnenmarkt von 300 Millionen Einwohnern zurückgreifen kann, welche die gleiche Sprache sprechen, die gleiche Währung verwenden, dem gleichen Rechtssystem unterworfen sind und typischerweise über ein Mittelklasse-Einkommen verfügen.

Europa dagegen ist extrem fragmentiert durch seine vielen Sprachen und Kulturen. Indien und China, obwohl massiv grösser als die USA, sind noch immer verhältnismässig arm. Daraus resultiert, dass der US-Markt allein noch immer rund 40-50% des globalen Marktes für gehobene Technologiegüter darstellt. Die USA sind deswegen ein grossartiger (wenn auch sehr umkämpfter) Ort für die Gründung einer Firma, weil man augenblicklich Zugang zu einer grossen Kundenbasis hat.

Der zweite Aspekt, das Wertsystem der Gesellschaft, ist bedeutender und zugleich wesentlich schwieriger zu analysieren.

In jeder Gesellschaft werden die smartesten und ambitiösesten Menschen gewöhnlich von jenen Berufen und Stellungen angezogen, die das grösste gesellschaftliche Ansehen bringen. Ich glaube, das geht ziemlich eindeutig aus der Geschichte und aus unserer aktuellen Welt hervor. Im mittelalterlichen Europa garantierte eine hohe Stellung in kirchlichen Kreisen eine hervorragende Karriere, die Zugang zu Macht und vielfach auch Reichtum verhalf. In den alten Dynastien Chinas wäre eine smarte Person wohl am liebsten Mandarin am Hofe des Kaisers geworden. In der aktuellen, modernen und offenen Gesellschaft sind die Präferenzen nicht mehr so eindeutig, auch wenn es noch immer Berufe mit deutlich mehr Prestige gibt als andere.

Die Psychologie hat herausgefunden, dass Geld – oder, um genauer zu sein, die Macht des Geldes, materielle Dinge zu erwerben – nur bis zu einem gewissen Punkt eine Motivation darstellt. Wenn er überschritten ist, ist Geld zunehmend nur noch ein Mittel zur Erlangung eines höheren Status.

Seien wir ehrlich: Niemand braucht wirklich einen schicken Sportwagen, und es ist vielleicht sogar sehr viel weniger bequem, in einem Ferrari von A nach B zu gelangen (auch wenn es interessanter sein mag) als in einem Toyota Corolla. Die meisten materiellen Statussymbole haben nur einen Zweck: andere zu beeindrucken.

Wonach wir streben, ist sozialer Status. Die Frage stellt sich also, wie sich Gesellschaften in der Art des Wertesystems unterscheiden, das einem Beruf einen höheren Status verleiht als einem anderen – und spezifisch, welchen Wert eine Kultur dem Unternehmertum beimisst. Wir hören derzeit permanent von den Politikern, dass es mehr Unternehmertum brauche, um aus dem wirtschaftlichen Schlamassel herauszukommen, in das uns die Finanzindustrie geritten hat. Welche Gesellschaft ist also am besten darauf vorbereitet, das Unternehmertum zu fördern?

Aus der Beobachtung der Länder, die ich einigermassen gut kenne (die Schweiz, Deutschland und die USA) kann ich sagen, dass keines ein Wertesystem hat, welches das Unternehmertum vollständig über andere, vielleicht weniger produktive Aktivitäten erhebt. Aber es gibt eindeutig grosse Unterschiede.

Die USA pflegen beinahe schon einen Kult rund um das Unternehmertum. Es ist fast unmöglich, einen Amerikaner oder eine Amerikanerin zu finden, der oder die nie daran gedacht hat, eine eigene Firma zu gründen. Unternehmer werden gemeinhin bewundert. Der Pioniergeist ist in dieser Einwanderernation sehr lebendig und gesund.

Aber die typisch amerikanische Ambition hat auch eine dunkle Seite: Geld zu verdienen scheint wichtiger als Dinge herzustellen, die langfristig einen Gewinn für die Gesellschaft darstellen. Natürlich bewundern die Menschen Bill Gates oder Steve Jobs, aber sie bewundern Warren Buffet ebenso sehr, und der ist nun mal ehrlich gesagt mehr ein Spekulant als ein Unternehmer. Die aktuelle Finanzkrise war nur möglich, weil die smartesten Leute von den Finanzfirmen angezogen worden waren, die keinen echten Wert für die Gesellschaft generieren, sondern lediglich Handel treiben. Wer sein Geld damit gemacht hat, eine Firma aufzubauen, Dinge zu erfinden und Jobs zu schaffen, hat in der amerikanischen Gesellschaft nicht unbedingt einen höheren Status als jemand, der einfach nur billig kauft und teuer verkauft.

Das könnte sich langfristig als ein fundamentales Problem erweisen, sofern es das nicht sogar schon ist. Im Laufe der letzten Dekade haben die amerikanischen Konzerne nicht nur systematisch Produktionsjobs ousgesourct, sondern auch das Design und das Engineering vieler innovativer Produkte. Fast die gesamte Arbeit an einem Apple- oder HP-Notebook wird inzwischen in Taiwan und auf dem chinesischen Festland erledigt. Klar, die amerikanischen Firmen bieten immer noch ihr brillantes Marketing – aber reicht das wirklich? Es ist nicht völlig überraschend, dass die letzte Welle an spannenden PCs, die „Netbooks“, von taiwanesischen Firmen gestartet wurde und bis heute von ihnen unter ihren eigenen Markennamen dominiert wird. Die Outsourcer essen bereits den Lunch ihrer Kunden.

Ich glaube nicht, dass eine Gesellschaft allein auf Basis ihrer Finanzdienstleistungen überleben kann, oder aufgrund von raffiniertem Marketing und Spekulation. Aber das sind die Dinge, welche die amerikanische Gesellschaft derzeit am höchsten belohnt. Hoffentlich vermag die aktuelle Krise daran etwas zu ändern.

Im deutschsprachigen Europa dagegen geniessen die Entwicklung hochwertiger Produkte und die Schaffung von Arbeitsplätzen noch immer den höchsten Status – vielfach zu Lasten des finanziellen Erfolgs. Wenn ein deutscher Unternehmer sich mit seinem Erfolg brüsten will, wird er eher auf die Zahl der Stellen und die Qualität seiner Produkte verweisen als auf Profitabilität, Firmenwert und Marktanteil.

Das sind weitgehend sinnvolle Prioritäten. Es überrascht deswegen nicht, dass europäische Firmen viele Hightech-Nischen dominieren. Die berühmten deutschen „Mittelstandsunternehmen“ beherrschen häufig 80 Prozent und mehr in ihrer engen globalen Nische. Deutschland ist der grösste Exporteur der Welt, und die Schweiz und Österreich haben, bezogen auf ihre Wirtschaftskraft, einen sehr hohen Exportanteil. Die wichtigsten Industrien stellen allesamt qualitativ hochwertige Dinge her, wie Luxusautos, Pharmaprodukte oder Präzisionsmaschinen.

Das Problem mit der europäischen Mentalität besteht darin, dass sie Risikovermeidung propagiert und einen radikalen Fokus auf Qualität setzt, der zu Lasten von Flexibilität und Aggressivität im Markt geht.

Viele Bausteine des Internets – das Web, MP3, Linux, MySQL, Skype – sind von Europäern entwickelt, aber von amerikanischen Firmen kommerzialisiert worden. Europäer scheinen sich geradezu dagegen zu sträuben, etwas auf den Markt zu bringen, was noch nicht perfekt ist. Deswegen verpassen sie häufig die besten Gelegenheiten.

Aber der grösste Bremsklotz für das europäische Unternehmertum ist wahrscheinlich das Stigma des Scheiterns, das ihm immer noch anhaftet. Das Scheitern einer Firma wird immer noch häufig als Katatstrophe betzrachtet, statt, wie in den USA, als unglückliche, aber im Endeffekt lehrreiche Erfahrung.

Das Konzept des „Serial Entrepreneurs“ – jemand, der im Lauf seiner Karriere verschiedene Firmen gründet, von denen einige erfolgreich sein und andere untergehen werden – ist den meisten Europäern komplett fremd. Viele europäische Unternehmer haben eine dynastische Perspektive im Hinblick auf die Firmengründung: Eine Unternehmung ist etwas, was man gründet, sein Leben lang kontrolliert und dann den Kindern übergibt. Das funktioniert hervorragend mit gewissen Arten von Unternehmen, aber es ist nicht gerade hilfreich in sich sehr schnell verändernden Märkten.

Europäer haben ausserdem eine ziemlich zwiespältige Haltung gegenüber Reichtum: Es gibt für fast jedes Land sowas wie die Forbes-Liste der reichsten 500 Amerikaner, und fast überall sind die Menschen fasziniert von diesen Listen. Zugleich verstösst es aber gegen den guten Ton, seinen Reichtum öffentlich zu zeigen.

Das zwingt erfolgreiche europäische Unternehmer zu einem schwierigen Balanceakt: Sie geniessen einen hohen Status in der Gesellschaft, wenn sie weiterhin erfolgreich bleiben und „gute Chefs“ sind, die viele Stellen schaffen. Aber wenn ihre Firma zu profitabel wird oder ihr persönlicher Lebenstil frivol wirkt, verlieren sie schnell den ganzen Rückhalt. Wenn sie andererseits Risiken eingehen und damit scheitern, wird man sich sogar über sie lustig machen. Kein Wunder ist „Schadenfreude“ ein deutsches Wort (auch im Englischen)…

So ist es auch wenig verwunderlich, dass viele europäische Unternehmer versuchen, die amerikanischen Werte und Verhaltensmuster zu kopieren – in der Hoffnung, das Wertesystem des eigenen Landes in eine unternehmerfreundlichere Richtung zu verschieben. Nur endet das oft in einem Desaster. Das jüngste Beispiel sind die europäischen Banken und Immobilienspekulanten, die in einzelnen Ländern mehr unter Druck geraten sind als ihr amerikanisches Pendant. Warum? Weil sie versucht haben, aggressive amerikanische Geschäftsmethoden zu kopieren, ohne sie wirklich zu verstehen. Eine schlechte Kopie führt häufig zu einem schlimmeren Ergebnis als das ohnehin schon schlechte Original.

Demmnach hat also kein Land die perfekten Bedingungen für ein Unternehmertum, das gleichzeitig belohnt wird, wenn es „nützliche“ Firmen schafft. Aber ich denke, dass die gute Seite der aktuellen Rezession darin liegt, dass man sich auf beiden Seiten des Atlantiks an jene Dinge erinnert, welche den Westen ursprünglich reich gemacht haben: Eine gesunde, offene Haltung gegenüber dem Risiko und dem Unternehmertum und zugleich ein Fokus auf realen Mehrwert. Vielleicht ist sogar ein bisschen Nostalgie angebracht: Die 50er und 60er Jahre waren wahrscheinlich die Zeiten, in denen die westlichen Gesellschaften die Basis für ihren Reichtum gelegt haben.

Manchmal hilft eine Krise, die guten, alten Werte zu entstauben.