Vor einigen Tagen berichtete Startwerk über die erfolgreiche Expansion des deutschen Shopppingportals Outfittery in die Schweiz. Aber auch anders rum tut sich einiges: Schweizer Startups expandieren gerne und oft nach Deutschland – die Gründe sind die Marktgrösse und die vorhandene Nachfrage nach den Angeboten aus der Schweiz.
Der grosse Nachbarn Deutschland ist für Schweizer Startups attraktiv: Obwohl die Sprache, Mentalität und Arbeitseinstellung ähnlich sind wie in der Schweiz, unterscheidet sich Deutschland mit seinen 80 Millionen Einwohner in einem wesentlichen Punkt von der Alpenrepublik – nämlich bei der rund zehnmal grösseren Marktgrösse.
Die Schweizer Netzwerk-Applikation Starmind etwa hat im Januar die Eröffnung einer Niederlassung in Frankfurt am Main bekannt gegeben. Das Schweizer Startup verknüpft einen interdisziplinären Ansatz mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen und hat daraus eine Applikation für Grossunternehmen sowie KMU´s entwickelt. Die Applikation soll helfen, die interne Kommunikation und den Wissenstransfer zu fördern. Starmind analysiert Fragen von Mitarbeitern und verbindet diese mit den besten Experten im Unternehmen selbst. Damit soll die Produktivität gesteigert werden. Im vergangen Jahr hat sich etwa die UBS dazu entschieden, die Starmind-Technologie weltweit in ihrem Konzern einzusetzen. Nun möchte Starmind von Frankfurt am Main aus den deutschen Markt beackern. „Frankfurt eignet sich dabei als Standort, da neben einer guten geografischen Lage im Herzen Deutschlands, die räumliche Nähe zu wichtigen Kunden aus dem Finanzsektor aber auch der Pharmaindustrie gegeben ist“, sagt CEO und Mitgründer Pascal Kaufmann.
Der wichtigste Grund für den Start in Deutschland ist für Starmind aber die Tatsache, dass Deutschland der grösste Markt in Europa ist. „Bereits 2012 hat sich Starmind in den Medien und auf Investorenseite in Deutschland herumgesprochen. Ende letzten Jahres konnte erste Kunden in Deutschland gewonnen werden“, sagt Denise Gehring von Starmind. Das Startup hat das Potenzial erkannt und deshalb die Zweigstelle im Finanzzentrum Frankfurt am Main eröffnet. „Die Erschliessung des Potenzials können wir nun signifikant beschleunigen“, sagt Gehring. Die Erfahrungen, die Starmind nun in Deutschland sammelt, sollen auch als Grundlage für den geplanten Markteintritt in England genutzt werden – und später für den grossen Sprung in die USA.
Auch die Parkplatz-App Parku, die in der Schweiz erfolgreich gestartet ist und bereits in allen grösseren Städten seinen Dienst anbietet, hat ebenfalls seinen Markteintritt in Deutschland im vergangenen November bekannt gegeben. Parku möchte die Parkplatzsuche auch im „grossen Kanton“ revolutionieren, wie sie mitteilen. Den Anfang machte dabei natürlich Berlin. Die Hauptstadt ist zurzeit sowieso das Labor der Autobranche – zahlreiche Carsharing-Konzepte sind dort vertreten, neue Transportformen werden ausprobiert. Anja Hansen, Head of Communication bei Parku sagt zum deutschen Markeintritt: „Aufgrund der Sprache machte es daher Sinn, als nächstes in weitere Grossstädte in Deutschland und auch Österreich zu expandieren“.
Eine Erkenntnis für Startups beim Markeintritt in Deutschland kann aber hier schon mal vorneweg genommen werden: Parku hat trotz gleicher Sprache und ähnlichen Lebensbedingungen das Angebot für den deutschen Markt modifiziert. „Im Gegensatz zu unserem Angebot in der Schweiz vermarkten wir in Berlin derzeit in erster Linie Restplätze in Parkhäusern und Tiefgaragen“. Dies wohl auch, weil es in Berlin mehr Gratisparkplätze als in Schweizer Städten gibt. Besonders in Wohnquartieren werden Parkplätze anders gehandhabt als etwa in Zürich. Trotzdem ist die Parkplatzsituation laut Parku in Berlin „verheerend„. Anbieter in Berlin und auch Hamburg können kostenlos bei Parku inserieren und damit Geld mit nicht vollständig ausgelasteten Garagen und Parkplätzen verdienen.
Doch auch kleinere, webbasierte Startups aus der Schweiz möchten von der Grösse des deutschen Marktes profitieren: So verkündete Hochzeitswunsch.ch im Januar den Start in Deutschland. In der Schweiz wurden auf der Online-Hochzeitsgeschenk-Service im letzten Jahr Geschenke im Wert von 1,6 Millionen Franken gesammelt. Die virtuelle Wunschliste erfreut sich grosser Beliebtheit, weil sie unabhängig von Anbietern Geschenke erfasst und sich mit Online-Angeboten kombinieren lässt.Doch auch hier musste das Angebot in Deutschland leicht modifiziert werden: Weil wohl die Adresse schon besetzt war läuft der Hochzeitsgeschenke-Service in Deutschland unter dem Namen www.hochzeitstisch-deck-dich.de. Migründer Manuel Reinhard sagt zum Markeintritt: „Zahlreiche Anfragen aus Deutschland haben uns dazu bewogen, unser Angebot geografisch zu erweitern.“
Selbstverständlich gibt es noch weitere Beispiele von Schweizer Startups, die nach Deutschland gehen – dann besonders gerne in Europas Startup-Metropole Berlin. Auch wenn die Marktgrösse von Deutschland verlockend ist, darf natürlich nicht vergessen werden, dass dadurch auch mehr Mitbewerber profitieren möchten. Gute Chancen haben Startups, die sich vor der Lancierung ihres Angebots kundig machen, wie die Situation vor Ort aussieht und nicht einfach ihre Dienstleistung oder ihren Service 1:1 mit einem deutschem Link aufschalten. In Berlin, wo sich zahlreiche Startups tummeln, haben Jungunternehmer nämlich auch gute oder ähnliche Ideen. Deshalb ist es unabdingbar zu schauen, ob das Potenzial tatsächlich so gross ist wie angenommen. Nur auf die Erfahrung oder den Erfolg im Schweizer Markt auf den deutschen zu schliessen reicht nicht. Ein Eindruck vor Ort, Gespräche mit deutschen Jungunternehmern und eine Anpassung an den Auftritt oder Angebot ist unabdingbar für den Erfolg.
Eine gute Beobachtung zur deutschen Startup-Szene in Berlin gibt es ausnahmsweise nicht auf einem der bekannten deutschen Startup-Portalen zu lesen, sondern auf dem Blog eines Autobauers.