Die Schweizer App „Bring!“ folgt einem einfachen Mantra: Benutzerfreundlichkeit und Zweckorientierung. Die beiden Gründer bleiben dieser Strategie mit der neuen Version kompromisslos treu. Sie sind davon überzeugt, dass darin das Erfolgsrezept steckt.

3_Bring_Screenshot_1Was wünscht man sich als Smartphone-Nutzer von einer Einkaufslisten-App, wenn man im Laden steht und ein Element auf der Liste antippt – Etwa „Joghurt“? Einen Hinweis auf ein Sonderangebot für Lindenblütenjoghurt? Oder einen Untermenüpunkt, in den man vorher zu Hause mühsam „6 Stück, Haselnuss/Erdbeer“ eingetippt hat?

Man möchte, sagen Marco Cerqui und Sandro Strebel, dass das Element aus der Liste verschwindet und den Blick auf die übrigen Dinge freigibt.

Denn die meisten Leute kennen ihre eigenen und die Vorlieben der Mitbewohner für Joghurt-Geschmäcker; sie wissen, welche Butter sie üblicherweise kaufen und dass „Bier“ wahrscheinlich vor dem Wochenende für „2 Sixpacks unserer üblichen Marke“ steht.

Deswegen zeigt ihre Einkaufsliste namens „Bring!“ auf dem iPhone auch keine Textliste an, sondern Icons mit eindeutigen Bildern. Und wenn man eines davon antippt, verschwindet es in die Liste der erledigten Einkäufe weiter unten im Bildschirm und ändert seine Farbe von rot zu grün.

Publisheria-Gründer

Sandro Strebel (links) und Marco Cerqui

Mehr, sagen die Informatiker Marco (32, stammt aus einer Gastronomie-Familie) und Sandro (29, in seinem bisherigen Berufsleben auf Usability spezialisiert), will man im Laden nicht von der App. Die Haushaltangehörigen hingegen hätten noch einen Wunsch: Wenn sie mitkriegten, dass jemand am Einkaufen ist, möchten sie ihre Bestellungen auch noch schnell aufgeben.

Einkaufs-Alarm für Wünsche von daheim

Genau das ist eines der Features der neuen Version von „Bring!“, seit Freitag im Appstore verfügbar: Die bisher zwischen zwei Anwendern teilbare Einkaufsliste kann jetzt unter mehreren Nutzern geteilt werden; neu in die Liste eingetragene Elemente tauchen bei allen sofort mit einem entsprechenden Hinweis auf; eine minimalistische Nachrichtenfunktion erlaubt es, den Hausbewohnern mitzuteilen, dass man gleich einkauft („letzte Chance auf Anpassungen“), dass die Liste erheblich ausgeweitet wurde oder, dass sie erledigt ist („kannst Dich entspannen“).

3_Bring_Screenshot_2Auf einen „echten“ Chat haben die beiden absichtlich verzichtet, genauso wie auf viele andere Features: Bring! soll genau das beherrschen, was ein Haushalt für den regelmässigen Einkauf benötigt, und nicht mit zusätzlichen Eventualitäten verwirren.

Das umfasst drei Funktionen: Das Erstellen der Liste (so einfach und schnell wie möglich, immer und überall, in Kooperation mit den andern Bewohnern des Haushalts), das Abhaken der erledigten Elemente im Laden und eine minimalistische Kommunikation unter den Anwendern der gleichen Liste.

„Einkaufslisten-Apps gibt es zu Hauf“, sagt Marco. „Aber keine ist konsequent auf die Interessen des Nutzers ausgerichtet: Die Grossverteiler haben Gratis-Apps, die sie vor allem für das Marketing von Produkten einsetzen; viele unserer kommerziellen Konkurrenten sind dagegen mit Features so überladen, dass die App den eigentlichen Zweck – einen effizienten Einkauf – zu einem Hürdenlauf macht.“

Die Erledigung der logistischen Aufgabe verlangt dabei durchaus komplexe Lösungen. Aber sie sollen vollständig im Hintergrund bleiben. So sind die Icons für die Einkaufsliste in einem umfangreichen Katalog hinterlegt, der durch Tippen der ersten Buchstaben eines Produkts gefiltert wird.

Von Aprikosen und Marillen

Bald schon haben die beiden Unternehmer festgestellt, dass dieser Katalog je nach Region anders gestaltet sein muss: Aprikosen heissen in Österreich Marillen, Gipfeli sind in Deutschland Hörnchen, und geographisch grösser gefasste Sprachräume wie die englische Welt unterscheiden nicht nur die Bezeichnungen, sondern ganze Esskulturen.

3_Bring_Screenshot_3Diesem Problem haben sich die beiden nicht nur mit Katalogen angenommen, die je nach Land einstellbar sind: Sie können sogar gemischt werden. Leben in einer Zürcher WG also eine Schweizerin, eine Deutsche und ein Österreicher zusammen, dann erscheint in der Einkaufsliste der Schweizerin „Rahm“, bei der Deutschen „Sahne“ und beim Österreicher „Schlagobers“.

„Die User Experience macht eine App erfolgreich“, fasst Sandro die Erkenntnisse der Bring!-Gründer in einem Satz zusammen. Und Marco übersetzt es auf das eine Feature-Set, das Bring! neben der Simplizität auszeichnet: „Einkaufen ist keine One-Man-Show!“

App-Verkäufe decken die Kosten

Das Festhalten an diesem Rezept entspricht der Disziplin der beiden Firmengründer, die sich durch ihre ganze Geschichte zieht. Ihr wohlgeordnetes und aufgeräumtes Büro bietet mit Zettelwänden, Businessplan-Canvas, White- und Storyboards viele Ausdrücke für ihre Kreativität, aber auch die Zielstrebigkeit, mit der sie zu Werke gehen.

Scrum, Lean-Startup- und weitere Methoden setzen die beiden ebenso konsequent ein, wie sie an ihrer Philosophie festhalten, zunächst die Usability in der Entwicklung voranzustellen. Finanziert haben Marco und Sandro ihre Firma mit eigenen Mitteln – inzwischen decken die App-Verkäufe allerdings bereits die Fixkosten, Löhne ausgenommen. Mit 40’000 Downloads ist „Bring!“ rasch in die schmale Bandbreite erfolgreicher kostenpflichtiger Apps vorgestossen.

Und das nach einem ursprünglich als „silent launch“ konzipierten Start im Appstore, der mit einem Feature durch Apple,  einen bekannten iPhone Ticker und einem TV-Bericht in Deutschland (ohne Konsultation der Entwickler, sie erfuhren erst durch Anwender von der Berichterstattung) zum Selbstläufer wurde. Der Sieg in der Kategorie Retail und E-Commerce der Swiss App Awards 2013 setzte noch einen obendrauf und bestärkte die beiden Entwickler in ihrer Vision.

Dabei hatten sie als Informatiker ursprünglich durchaus auf eine Hightech-Anwendung gesetzt. Beide noch bei einem Ingenieur-Unternehmen angestellt, hatten sie längst die Gründung eines Startups ins Auge gefasst; die ersten Evaluationsarbeiten nahmen sie in der Freizeit zu regelmässigen Terminen vor, und der erste Ansatz waren location-based-reminders für Besorgungen: Wenn der Anwender am Bankomaten vorbeigeht, sollte sein Smartphone ihn daran erinnern, dass er noch Bargeld besorgen wollte, beim Grossverteiler, dass er noch Milch braucht und am Kiosk, dass der Kauf von Zigaretten ansteht.

Tolle Technik, leider unbrauchbar

Die technisch spannende Lösung scheiterte just an dem, was heute der Grundsatz der beiden Programmierer ist – an der User Experience: Die Telefonalarme gingen zu oft im Umgebungslärm unter, kamen zum falschen Zeitpunkt oder waren zu umständlich zu erfassen. Nach ersten Evaluationen liessen Marco und Sandro deswegen dieses Projekt während ihrer berufsbegleitenden Planungsphase fallen und konzentrierten sich auf die einfache Einkaufslisten-App.

Der Erfolg hat ihnen bisher recht gegeben. Mit Hilfe von Praktikanten verschiedener Hochschulen, die in dem erfolgversprechenden Unternehmen spannende Teilaufgaben als praktische Studienarbeiten absolvieren, arbeiten Sandro und Marco unbeirrt an der Weiterentwicklung von Bring!. Über künftige Monetarisierungsmöglichkeiten machen sie sich bisher noch keine Sorgen – über den Verkauf der App bieten sich eine Vielzahl weiterer Ideen an, von denen aber viele die User Experience beeinträchtigen könnten. Und das werden die Publisheria-Gründer auf keinen Fall in Kauf nehmen.

Bring! Einkaufsliste App für iPhone from Bring! on Vimeo.