Startups machen sich mit innovativen Ansätzen an die Lösung bestehender Probleme. Unser Gastautor verrät vier Methoden, die bei der Suche nach neuen Ideen helfen.
von Bernhard Schindlholzer, Gründer von Userfeedback.
In ersten Beitrag zum Konzept des Creative Reframing ging es um die versteckten Annahmen, auf denen etablierte Geschäftsmodelle basieren – und wie diese zu Denkblockaden führen, die Innovation verhindern. Um zu disruptiven Ideen zu kommen – der Grundlagen nachhaltig erfolgreicher Startups – lohnt es sich, diese gezielt zu hinterfragen und neu zu definieren.
Solche Annahmen verhalten sich ganz ähnlich wie optischen Täuschungen. Dieses Bild zum Beispiel zeigt eine Winterlandschaft und fünf Pferde, jedoch sehen viele Personen auf den ersten Blick nur die Winterlandschaft. Sehr häufig ist es so, dass die Personen, die die Winterlandschaft sehen, nicht in der Lage sind, die Pferde zu entdecken, und die Personen die die Pferde gesehen haben, haben Schwierigkeiten, nur mehr eine Winterlandschaft in diesem Bild zu sehen.
Die Kunst des “Creative Reframing” ist es, einen solchen Wechsel als Denkweise zu trainieren. Mit konkreten Methoden ist es möglich, diese “Kunst” in eine konkrete Aktivität zu verwandeln, die man jederzeit auch selbst anwenden kann. Zum Beispiel bei der Suche nach einer Startup-Idee.
1. Identifizieren, Hinterfragen, Neudefinieren
Die erste Methode, um bestehende Annahmen zu sprengen geht nach drei einfachen Schritten vor:
- Identifikation der Annahmen
- Hinterfragung der Annahmen
- Neudefinition der Annahmen
Die grösste Herausforderung stellt dabei die Identifikation von Annahmen dar, da diese oft unbewusst funktionieren. Mit Vorteil erstellt man zunächst eine Liste sämtlicher Annahmen, die bisher in einem Unternehmen getroffen wurden.
Wenn die Annahmen gefunden sind, geht es darum, die Gründe für diese Annahmen zu finden. Sehr häufig stellt man fest, dass ein Grossteil davon ohne konkreten Grund existiert und einfach historisch entstanden ist.
Im letzten Schritt werden schliesslich die Annahmen neu definiert. Dadurch entstehen gleichzeitig auch Ideen, die aus dem bestehenden Rahmen ausbrechen und Ansätze für Neuerungen mit sich bringen. Zur Neudefinition können die Annahmen auch invertiert werden.
Beispiel: Ein Unternehmen könnte die Annahme getroffen haben, dass Kunden einmalig einen Betrag zur Nutzung eines Produktes oder einer Dienstleistung bezahlen. Diese Annahme basiert auf der Grundlage, dass alle anderen Unternehmen es auch so machen. Die Annahme kann geändert werden zu “Kunden bezahlen einen monatlichen Betrag zur Nutzung unseres Produktes” wodurch ein Rahmen definiert wird, der neue Ideen entstehen lassen kann.
2. Stretch Goals
Stretch Goals werden in vielen Unternehmen eingesetzt, leider jedoch häufig falsch. Ein Stretch Goal stellt nämlich nicht ein Ziel dar, dass man mit stärkerem Einsatz “gerade noch erreichen” kann. Im Gegenteil: Die ursprüngliche Definition eines Stretch Goals, die vor allem durch Jack Welch bei General Electric Verbreitung fand, ist, dass das Ziel mit bestehenden Massnahmen NICHT erreicht werden kann. Wenn man anstatt einer 10-prozentigen Umsatzsteigerung eine 100-prozentige Umsatzsteigerung erreichen möchte, erfordert dies eine komplett neue Vorgehensweise. Einfach nur länger und intensiver zu arbeiten führt nicht zum Ziel.
Ein konkretes Beispiel könnte z.B. die Vermarktung einer Webapplikation sein, für die man mit verschiedenen SEO-Methoden kontinuierlich neue Besucher findet. Nun könnte man sich das Ziel setzen, mit Extra-Überstunden noch mehr SEO zu betreiben, um ein paar Prozent mehr Besucher auf die Seite zu locken. Stattdessen könnte man sich das Ziel setzen, eine Verzehnfachung der Zugriffe im nächsten Monat zu erreichen. Dies ist mit dem existierenden Vorgehen und durch härteres Arbeiten vermutlich nicht möglich – man muss mit anderen Methoden versuchen, dieses Ziel zu erreichen.
Welches Vorgehen dies sein könnte, ist natürlich nicht pauschal zu sagen. Auch ob tatsächlich eine Verzehnfachung möglich wäre ist nicht vorab zu beantworten. Aber es werden die Voraussetzungen geschaffen, um sich vom bestehenden Denken zu lösen.
3. Die fünf “Warum?”
Die Methode der fünf „Warum?“ hat ihren Ursprung im Lean-Manufacturing Konzept von Toyota. Dort wird diese Methode verwendet, um bei Produktionsproblemen nicht nur die Symptome zu bekämpfen, sondern die tatsächlichen Probleme. Das ist auch für Startups interessant: Bei der eigenen Geschäftsidee muss man sich ebenfalls die Frage stellen, ob man für seine Kunden ein Problem löst oder nur Symptome bekämpft.
Indem man sich die Frage “Warum?” stellt und das für jede Antwort wiederholt, tastet man sich jedesmal näher an das Kernproblem heran. Natürlich muss man sich nicht immer fünfmal die Frage stellen, sondern kann sie flexibel einsetzen, bis man einen neuen Ansatzpunkt gefunden hat.
4. Point-of-View
Eine weitere Methode, um Annahmen zu identifizieren und zu hinterfragen ist, dass man verschiedene Standpunkte und Sichtweisen explizit festhält. So kann z.B. ein neues Angebot von verschiedenen Gruppen als Bedrohung angesehen werden, während es andere als grosse Chance wahrnehmen. Hier hilft eine explizite Formulierung der Positionen und Wahrnehmungen. Das entscheidende Merkmal dieser Methode ist, dass explizit verschiedene Rollen und Positionen eingenommen werden.
Beispiel: Wenn man Software an Grossunternehmen verkauft, sind in der Regel viele Abteilungen und Parteien mitbeteiligt. Das bedeutet, dass sowohl der Fachbereich, die IT-Abteilung und auch die Einkaufsabteilung involviert werden müssen. Während dann z.B. für eine Marketingabteilung eine neue Plattform für Social-CRM massiven Nutzen bringen würde, muss die IT-Abteilung eine Vielzahl an Regeln und Anforderungen berücksichtigen, bevor der Einsatz einer solchen Software genehmigt werden kann. Dann kann die Einkaufsabteilung noch eine weitere Rolle spielen, die nochmals den Preis verhandeln möchte.
Durch Anwendung der Point-of-View-Methode könnten diese Sichtweisen identifiziert und adressiert werden. Für ein Startup bietet das zusätzliches Potential: Beim Hineinversetzen in einzelne Zielgruppen können Lösungen entwickelt werden, die besser Akzeptanz finden und dadurch sich auch im Markt eher etablieren können.
Regelmässige Anwendung auch in bestehenden Startups
Mit diesen vier Methoden hat man ein Instrument in der Hand, um seine Sicht auf die Welt hinterfragen und damit komplett neuen Ideen zu entwickeln. Das Creative Reframing ist allerdings nicht nur für die Entwicklung von Ideen für neue Unternehmen möglich, sondern kann auch im Alltag von Startups oder etablierten Unternehmen eingesetzt werden. Es hilft dann dabei, in den verschiedensten Bereichen Denkblockaden zu lösen und kreative Ansätze zu finden.