Verteiltes Arbeiten wird immer einfacher. Das verleitet zum Schluss, Teams könnten über die Distanz genauso gut funktionieren wie vor Ort.
Dass Startups oft als Nebenjob anfangen, sagt nichts gegen ihre Erfolgschancen. Gerade für Garagenstartups, die als Zweitbeschäftigung der Gründer ihren Anfang nehmen ist eines typisch: Ein befreundetes Team, das viel Wert darauf legt, einen gemeinsamen Arbeitplatz zu haben.
Das ist der Kern einer Haltung, die sich auch darin ausdrückt, zusätzliche Teammitglieder später am gleichen Ort einzuquartieren.
Ist das ein Erfolgsfaktor?
Viel deutet darauf hin. Der Austausch funktioniert einfach besser, wenn das Team nicht geographisch verstreut ist: Ein Schluss, zu dem im Startwerk-Diary auch die Gründer von useKit gekommen sind.
Die Alternative dazu ist ein verteiltes Team und die Koordination online. Das führt nicht selten zu etwas, das ich auch schon im eigenen Umfeld erlebt habe: Clevere Projekte und Startups, die eine Gruppe von Leuten bei einem Treffen entworfen haben scheitern in der Ausführung, weil man sie über die Distanz umzusetzen versucht.
Das passiert ungeachtet der vielen Tools zur Kommunikation und Organisation, die zur Verfügung stehen. Wikis, Videochats und viele Applikationen zur Kollaboration sorgen ja eigentlich dafür, dass verteiltes Arbeiten nie so einfach war wie heute. Die Abstimmung von Teamaktivitäten ist darum auch selten das Problem – die Nachteile liegen tiefer.
Abgesehen vom Wir-Gefühl und der gegenseitigen Motivation sind nämlich auch gerade die vielen, scheinbar unwichtigen Gespräche nebenher wichtig. Was nicht in den Online-Meetings besprochen wird, sondern zwischendrin einmal, fliesst genauso in spätere Überlegungen ein und ist darum wertvoll. Das Pausengespräch macht einen nicht zu unterschätzenden Anteil der Ideenfindung aus. Unternehmer und VC Mark Suster:
The conversations bleed into the sales messages the next time, they wend their way into software designs and form the plan of attach against competition.
Kern von Startups ist die Produktenwicklung – entsprechend wichtig sind inkrementelle Verbesserungen am usprünglichen Plan. Ständiges miteinander Diskutieren formt viele dieser Mikro-Ideen erst und sorgt dafür, abseits von den eigenen To-Do-Liste zu überlegen. Hinzu kommt: (Online-)Meetings sind der Feind von Produktivität und kreativer Ideenfindung. Auch deswegen will man sie möglichst kurz halten. Darum können gerade Videokonferenzen das Gespräch nebenbei nie ersetzen.
Auch zu kurz beim verteilten Arbeiten kommt das echte Kennen Lernen der Kollegen, was später vielleicht einmal kritisch wird. Paul Graham:
You haven’t seen someone’s true colors unless you’ve worked with them on a startup.
Klar ist, dass ein gemeinsamer Arbeitsplatz nicht nur ein realistischeres Selbstbild mit der Frage „Kommen wir auf diesem Weg zum Ziel?“ eher begünstigt. Auch wird einfach schneller klar, ob das Team harmoniert.
Natürlich gibt es Funktionen, die sich auslagern lassen, ohne dass man deswegen negative Effekte befürchten müsste. Paradebeispiel ist etwas der Webauftritt. Andere Nicht-Kern-Funktionen gibt es auch, viele davon kommen aber auch erst später ins Spiel, wie zum Beispiel eine Stelle für den telefonischen Kundensupport.
Ein paar der Faustregeln, die Mark Suster als Verfechter der versammlten Teams anführt:
- Zumindest das Kernteam muss am selben Ort beheimatet sein, damit sich nicht separate Kulturen heranbilden oder kritische Ressourcen in der Mehrspurigkeit verschwendet werden.
- Der Anfang der Verkäufe sollte aus dem eigenen Büro heraus gemacht werden, so dass das ganze Team einen Einblick erhält. Geographische Abdeckung ist anfangs nicht so wichtig.
- Offshoring von Softwareentwicklung ist okay, reines Outsourcing dagegen schadet. Einem Team, dass seine IT komplett von jemand anderem programmieren lässt, fehlt die technische DNA für den Verkauf.
Was macht Ihr für Erfahrungen? Gibt es Gegenbeispiele zu diesem Prinzip, z.B. jemand der mit Softwareentwicklung komplett ausser Haus gute Erfahrungen gemacht hat?
(Bildquelle: Geek and Poke)
Wir bei mite machten in den vergangenen vier Jahren sehr gute Erfahrungen mit dem Arbeiten von verteilten Standorten aus, auch im Kernbereich, der Produktentwicklung. Mein Mitgründer Sebastian arbeitet von Hamburg aus, ich von Berlin, unser frischer Mitarbeiter Gregor anfangs von Paris.
Unser Büro ist das Netz – und das funktioniert wunderbar. Auch online lassen sich gut »Küchengespräche« führen, wenn sich denn jedes Teammitglied im Netz zuhause fühlt. Wir spüren hier kein Manko.
Auf der anderen Seite führt verteiltes Arbeiten im besten Falle erstens aufgrund wegfallender Ablenkungen zu konzentrierterem und effizienterem Arbeiten und zweitens zu einem besseren Team, da man sich bei der Personalsuche nicht regional einschränken muss. Drittens schätze ich persönlich die Freiheit enorm, die ein Büro im Netz mit sich bringt: Arbeite ich von zuhause aus, kann ich viel besser Privates mit Beruflichem in Einklang bringen – ganz banal beispielsweise Päckchen entgegennehmen oder diese furchtbaren Handwerkertermine (dienstag zwischen 8 und 18 Uhr) ganz entspannt angehen. Obendrauf bin ich nicht an einen Arbeitsplatz gebunden – je nach aktueller Terminlage & persönlicher Laune kann ich von einem Berliner Café aus arbeiten, oder auch einmal von Madrid, Hamburg oder NYC. Das ist schlicht: fantastisch. Diese Freiheit ist mir unfassbar viel wert.
Als einzigen Knackpunkt empfinde ich die tagtägliche Eigenmotivation. Im realen Büro zwingt einen das Team dazu; es fällt einfach viel schneller auf, wenn man denn einmal herumschlenzt, das Team kann fixer gegensteuern. Arbeitet das Team verteilt, muss jeder und jede einzelne dazu gemacht und dazu bereit sein, sich tagtäglich selbst in den Arsch zu treten. Ist dieser Punkt nicht gegeben, funktioniert das reale Büro vor Ort sicher besser. Aber will man solche Teammitglieder wirklich?
Hallo Julia,
Danke vielmal für die ausführliche Gegenmeinung!
Gewisse Vorteile und die angenehmen Seiten des verteilten Arbeitens sehe ich genauso. Blogwerk besteht ja selbst aus geographisch unterschiedlich beheimateten Autoren. Bei uns ist es aber natürlich auch so, dass eigenständiges Arbeiten leicht möglich ist. Würdest Du sagen, die Arbeitsteilung und -Koordination klappt bei Euch auch dank eines kleines Teams und einer übersichtlichen Codebase oder was für Kriterien siehst Du?
Mich würde ausserdem interessieren, was Eure Erfahrung ist mit den von Dir erwähnten Küchengesprächen. Macht Ihr die via Messenger oder Wikis? Ich bin nämlich trotzdem der Meinung, dass Kommunikation und Austausch vor Ort und Face to Face niederschwelliger und direkter sind – und damit für die Ideenfindung ergiebiger.
Salut Jan, freut mich, dass du an Details interessiert bist!
Die Arbeitsteilung & -koordination läuft bei uns vor allem über ein gut strukturiertes Ticketingsystem mit Kommentarfunktion. Iterationen planen wir dort, begleitend wird telefoniert; Auch bei größeren Teams könnte das meiner Einschätzung nach gut funktionieren. Eine gemeinsame Codebase ist so oder so Pflicht; wir setzen hier auf Git/GitHub. Auch größere Projekte – so schlank ist mite gar nicht mehr ;-) – lassen sich so dank Branches prima verwalten. Pair Programming funktioniert ebenfalls übers Netz. Darüberhinaus findet sich in unserem Werkzeugkoffer natürlich eine gemeinsame Fileablage etc. Auch, wenn wir real nebeneinander sitzen würden, würden wir vermutlich nicht sonderlich anders arbeiten.
Zu den Küchengesprächen: natürlich ist Face2Face-Kommunikation reichhaltiger als ein Hin-und-her-Tippseln in einem Wiki. Wir setzen daher auf möglichst reichhaltige Tools, konkret telefonieren & videochatten wir recht häufig. In unserem textbasierten Teamchat sagt zudem jeder brav guten Morgen und Adé, wenn er/sie mit der Arbeit startet und aufhört. Zwischendurch tauschen wir dort Links aus, erzählen auch mal private Stories, diskutieren über wilde Ideen und bitten um Feedback. Viel Small Talk passiert dort ergo – aber auf eine wenig störende Art. Wenn jemand einmal konzentriert codet, kann er den Chat währenddessen ignorieren & später hineinschauen, das senkt den Unterbrechungsfaktor. Obendrauf verabreden wir uns ca. alle zwei Wochen zu einem Teamtelefon. Dort halten wir je nach Bedarf eine Retrospektive und diskutieren, wie es weitergehen soll. Ich halte es für wichtig, einerseits kontinuierlich die Kommunikation & den Austausch zu fördern, andererseits aber auch einen gewissen »Lärmpegel« nicht zu überschreiten. Wie viel zu viel ist und wie viel genug, muss jedes Team selbst herausfinden.
Und auch, wenn man denn den Großteil seiner Zeit verteilt arbeitet, bedeutet das ja nicht zwingend, dass man sich nie real treffen kann! Das steht ja nirgends festgeschrieben. Aber solch Ab-und-An-Treffen können eben bedarfsabhängig angegangen werden, ganz flexibel. Gerade in diesen ersten Monaten mit unserem neuen Teammitglied, das wir vorher nicht kannten, treffen wir uns beispielsweise durchaus ca. monatlich zum Diskutieren & Bierchentrinken. Das hilft natürlich, sich besser aufeinander einstellen zu können und fördert den Zusammenhalt.
@Julia: Spannender Input!
Interessant zu hören wie ihr Euch organisiert – danke für den Einblick!
Das Arbeiten geht verteilt schon, aber eben die Nebenbeikommunikation fällt flach.
Wenn dann jemand Lügen über einen verbreitet, wo der Chef normal mal kurz nachfragen und es dann als entsprechenden Blödsinn einstufen würde, kann es verteilt zum echten Problem werden.
Ebenso, wenn sich der Chef oder ein Kollege irgendwie irrtümlich üner was ärgert.
Vor Ort wäre das leicht geklärt.
Verteilt bleibt es ewig im Hinterkopf.
Verteilt arbeiten geht nur, wenn man sich irgendwann mal wenigstens zum Feiern trifft. Mindestens 1x im Jahr.
Der Start meiner Firma ist bisher noch sehr schwierig und ein grosses Problem ist bei uns auf jeden Fall die verstreuten Standorte. Wir sind zwar alle in der gleichen Stadt aber trotzdem würde ein gemeinsames Büro extreme Vorteile bringen.
Auch mit den heutigen Tools haben wir es bisher noch nicht geschafft uns gut zu organisieren und ich freue mich schon wenn wir dann ein gemeinsames Büro haben. Kann aber leider noch einige Monate dauern…
Wie bei sovielen anderen Themen macht es auch hier sicher die richtige Mischung aus. Wir bei GRYPS halten es so, dass wir mindestens 2-3 Tage die Woche gemeinsam im Büro sind. Die restlichen Tage arbeiten wir vom Home-Office aus, so dass auch Privates/Familie noch organisiert werden kann.
Mir persönlich ist folgender Aspekt bei der Kommunikation über Distanz aufgefallen: Wird viel über Email kommuniziert, so lässt man sich sehr schnell einmal zu Kommentaren, Bemerkungen und Ausführungen hinreisen, die je nach Thema schnell zu Frust oder schlechter Stimmung führen können. Mit einem kurzen Telefonat ist schnell wieder alles in Ordnung und Missverständnisse aufgeräumt. Daher mein Tipp, wenn schon verteiltes Arbeiten über Distanz, dann bitte trotzdem viel miteinander telefonieren und persönlich besprechen, so dass gar nicht erst Missverständnisse aufkommen können.
Das gilt im übrigen auch für die Kommunikation mit Kunden und Partnern! Kommt ein verärgertes Email rein, dann am besten gleich den Telefonhörer in die Hand nehmen!
Wir arbeiten seit Jahren komplett verteilt, nicht nur die Kerntruppe, sondern auch zusätzliche Entwickler auf anderen Kontinenten. Sicherlich bedarf es dazu einiger Stringenz in der Organisation, aber zu behaupten verteiltes Arbeiten würde nichts taugen ist schlicht Unsinn.
Noch ein Beitrag zum Thema: http://www.businessinsider.com/how-you-can-make-a-remote-team-work-2010-7
Nach wie vor aktuelle Fragen und Kritikpunkte an verteilter Arbeit.
Ich habe das Gefühl, dass das „Digitale Nomadentum“ dennoch auf dem Vormarsch ist. Es scheint doch Unternehmen geben, die es schaffen, das Konfliktpotential von verteilter Arbeit zu mindern und die Chancen zu nutzen.
Wir arbeiten in der Firma selbst schon seit Jahren verteilt, und ich kenne die Kommunikationsprobleme, die diese Art der Arbeit mitbringen kann (und die Auswirkungen der Zeitverschiebung auf meinen Arbeitsrhythmus). Trotzdem genieße ich es, verteilt zu arbeiten. Die ergebnisorientierte Zusammenarbeit und die Flexibilität sind einfach unschlagbar. Natürlich gibt’s bei der Kommunikation immer auch die „Fehlerquelle“ Mensch, aber das war nicht anders, als wir noch ein kleines „Bürostartup“ waren.
Wie Gaby und Julia schon gesagt haben: Kommunikation ist das A und O bei verteilter Arbeit. Mit den richtigen Tools lassen sich zum Glück nicht nur die Arbeitsprozesse gut koordinieren, sondern auch die Kommunikation läuft glatt.
Mich würde interessieren, wie du das Thema heute siehst.
Verteiltes Arbeiten: flexibel, golbal und selbstbestimmt | KMUT's Blog