Nviso will die Marktforschung automatisieren. In Zukunft sollen sich emotionale Reaktionen durch eine Kamera direkt vom Gesicht des Kunden ablesen lassen.
Micro-Expressions: Das sind Gesichtsausdrücke, die wir beinahe unmerklich zeigen, ohne es selbst zu merken. Nviso hat eine webbasierte Software entwickelt, die darauf ausgelegt ist, per Kamera kleine Bewegungen der Gesichtsmuskeln emotionalen Zuständen zuzuordnen. Das Startup will damit dem bekannten Online-Fragebogen eine neue Tiefendimension geben, automated emotion capture heisst das Stichwort. Funktionieren soll die webbasierte Anwendung über jede herkömmliche Webcam, die dafür während einer Befragung aktiviert wird.
Nviso wurde Anfang 2009 von Matteo Sorci und Tim Llewellynn gegründet. Matteo hat einen Phd im Feld der Gesichtserkennung an der EPFL gemacht. Tim hat bereits Startup-Erfahrung, und war bei Anagram Technologies, Abilis Systems, und der Swatch-Group Internet Business Unit tätig. Als Chairman haben die Gründer den früheren CEO von Publicitas für Asien und China, Moritz Wuttke, gewinnen können.
Inzwischen haben Tim und Matteo bei Venture Kick Anschub bekommen und gehören zu den Gewinnern der IMD Startup Competition 2010. Für sie ist der Einsatz von Software zu Interpretation von Gesichtsausdrücken das nächste grosse Ding. Die Anwendungsmöglichkeiten seien riesig und lägen für die Zukunft vor allem in der Verbesserung der Interaktion von Mensch und Computer. Zudem sieht Tim Potential in der Analyse von emotionalem Verhalten in Entscheidungssituationen. Die Turbulenzen an den Finanzmärkten seien ein gutes Beispiel: „Bei der Finanzkrise hatten wir rationale Entscheidungsprozesse gemischt mit emotionalen Anteilen.“ Mit einer Möglichkeit zu deren Auswertung wäre es vielleicht irgendwann denkbar, Herdentrieb und sonstige Marktanomalien in der Finanzwirtschaft besser zu verstehen.
Störende Rationalität
Das sind aber mehr Visionen als konkrete Pläne. Der Einsatz bei Onlinebefragungen ist momentan der Fokus der Idee. Marktforschung zu Produkten oder Marken stützt sich meist auf die Beantwortung von Fragen und Bewertung anhand von Skalen. Der Nachteil dieser Methode ist rationale Voreingenommenheit, die Ergebnisse verfälschen kann. Dem wird im Marketing oft mit Fokusgruppenanalysen beizukommen versucht. Über die direkte Auswertung von Gesichtsausdrücken werde das Problem umgangen und das Ergebnis genauer, ist sich Tim sicher. Bestehende Technologien sind auch bereits im Einsatz für die Analyse von Gefühlsregungen, so etwa fMRI Brain Imaging oder EEGs. Unternehmen wie Emsense oder Neurofocus beschäftigen sich damit. Für Tim und Matteo hat die Webcam-gestützte Gesichtserkennung demgegenüber einige Vorteile, unter anderem eine hohe Skalierbarkeit. Mit einer grossen Anzahl von Teilnehmern könnten damit auch einfacher statistisch relevante Daten ermittelt werden.
Automatisierte Analyse des Kunden: Das klingt zunächst einmal wie der Traum jedes Marktforschers. Die Frage dabei ist natürlich, inwiefern so etwas von den Befragten auch akzeptiert wird, und ob die Beobachtung durch ein Kameraauge nicht als unangenehm empfunden wird. Hier wiegelt Tim ab. Viele Konsumenten, besonders wenn sie sich mit einer Marke identifizieren, seien gern bereit bei der Verbesserung von Produkten mitzuhelfen. Zudem seien bei Onlinebefragungen auch finanzielle Anreize denkbar.
Im Moment beschäftigt das Team vor allem die Entwicklung der Software. Der grösste Knackpunkt ist laut Tim die Robustheit der Gesichtserfassung, die ja nicht nur unter Laborbedingungen funktionieren muss, wenn sie als Produkt erfolgreich sein soll. Nvisos Software ist noch im Betastadium, Pilotstudien sollen zurzeit helfen, die Ergebnisse der Analysen zu verbessern. Daneben ist das Startup auf der Suche nach Seed-Finanzierung.