Den Abschluss der Serie zu Kultur und Startups bildet ein Interview mit Pro-Helvetia-Direktor Pius Knüsel.
Startwerk: Herr Knüsel, wie kann man als Künstler Geld verdienen?
Pius Knüsel: Man kann als Künstler nur Geld verdienen, indem man sein Talent an eine Kultureinrichtung verkauft oder indem man Produkte herstellt, die sich gut verkaufen. Die gängige Unterscheidung zwischen Kommerz und Kunst, zwischen Zeug, das sich verkauft, und Werken, die sich nicht verkaufen, finde ich problematisch. Es klingt so, als sei etwas, das sich verkauft, keine Kunst, und wenn es sich nicht verkauft, wird es plötzlich Kunst. Tatsache ist, dass es auch hochwertige Kunst gibt, die sich sehr gut verkauft. Die Abgrenzung läuft quer zur ökonomischen Realität. Die subventionierte Kunstwelt benimmt sich leider oft so, als sei sie eine Welt neben der kommerziellen. Man kann aber nur Kulturförderung betreiben im Wissen, dass sich beide Welten durchdringen und die Abgrenzung gegen den kommerziellen Sektor keinen Sinn macht.
Brotlose Kunst?
Kann man damit rechnen, nur von seiner Kunst leben zu können?
Tatsächlich muss man als Künstler drei Standbeine entwickeln: Man muss Produkte machen, die einen Abnehmer finden. Man muss schauen, dass man hin und wieder Unterstützungsgelder kriegt. Und man muss auch einen Brotjob haben. Die Idee der öffentlichen Gelder ist tatsächlich, jemandem mit Potential den ökonomischen Spielraum zu geben, sich seiner eigenen Produktion zu widmen, in der Hoffnung, dass er irgendwann auf eigenen Beinen steht.
Gibt es in der Kulturförderung so etwas wie Startup-Hilfe?
In der Kunst gibt es keine klassische Startup-Hilfe, wie zum Beispiel in der Kreativwirtschaft. Wenn jemand ein Grafikbüro aufmacht und sagt, wir haben schon einige Kunden und ein gutes Konzept, aber die ersten drei Jahre müssen wir noch kämpfen, dann hilft man ihm im Rahmen einer Startup-Hilfe. Man hat auch einen Businessplan und weiss, wenn der aufgeht, braucht er in vier Jahren keine Hilfe mehr. Solche Programme gibt es in der Kunst- und Kulturförderung nicht. Das hat vor allem zu tun mit dem antikommerziellen Reflex, der den Kulturbetrieb tatsächlich dominiert. Es herrscht das Vorurteil, dass man jemanden in den Kommerz hinausstösst, sobald man über Businesspläne redet, und dann müsste er sich banalisieren oder gar prostituieren. Ich glaube aber, dass Kulturschaffende anfangen müssen, sich mit solchen Konzepten zu beschäftigen.
Zwang zur Spezialisierung
Wie sieht denn die typische Karriere eines Künstlers aus?
Die meisten haben die Kunsthochschule hinter sich und fangen dann an zu arbeiten, in Gruppen oder individuell; dabei muss man ganz einfach einen Brotjob haben, denn man kann nicht direkt von der Schule kommen mit dem Anspruch, ich bin jetzt Künstler und lebe davon. Es ist wie bei einer Bäckerlehre, da kann man auch nicht gleich anschliessend einen Laden auftun, der von der ersten Minute an floriert; man muss sich überlegen, wo gibt es Kunden, wo gibt es ein Segment, das ich gewinnen kann, und welche Produkte muss ich anbieten. Nun hat ein Bäcker keine Chance auf langfristige Subventionen, ein Künstler hingegen schon. Trotzdem muss die Überlegung dieselbe sein: Ein Künstler muss sich auch fragen, wie kann ich mich spezialisieren, wie kann ich ein individuelles Profil entwickeln, und was habe ich für Einkommensmöglichkeiten in meinem Sektor. Die Unterstützung setzt erst dann ein, wenn ein Künstler sich ein paar Jahre selber durchgeschlagen hat. Was jedoch fehlt in der Kulturförderung, sind eindeutige Entwicklungsforderungen und quantitative Definitionen wie Erfolgsquoten. Wenn man von einem geförderten Künstler verlangen würde, den Eigenfinanzierungsgrad in den nächsten fünf Jahren von 20 auf 50 Prozent zu steigern, würde man Kulturförderung zu sehr an Businessentwicklung heranführen.
Wäre das schlecht?
Aus meiner Optik nicht. Aber es braucht einen Mentalitätswandel. Die ganze Diskussion um die Kreativindustrie ist vielleicht ein Anzeichen dafür. Man fördert seit 40 Jahren mit dem Credo, dass etwas nicht gut wird, wenn man von Anfang an darauf schaut, ob es sich verkaufen lässt. Das hat dazu geführt, dass der Blick aufs Marktpotential komplett abgestorben ist. Es gilt oft als unethisch, übers Verkaufen zu reden. Aber eigentlich sollte man den Künstlern helfen, ihre Kreativität überzuführen in kommerzielle Aktivitäten, die trotzdem interessant und qualitätsorientiert sind.
Der Künstler und der Markt
Wie sieht es aus mit dem Markt in der Kunst? Finden alle Kunstformen ihre Abnehmer?
Na ja, es gibt immer Märkte. Das Problem ist nicht, ob es einen Markt gibt, sondern in welcher Relation das – meist geförderte – Angebot zur Grösse des potentiellen Marktes steht. Ich glaube, dass es, von gewissen Spezialfällen abgesehen, für alle Erzeugnisse einen Markt gibt, für experimentelle Formen einen kleinen, für klassische einen grösseren, für Pop einen riesigen. Sowieso hat jede Kunst einen doppelten Markt: Als Live-Form, also als Konzert, Aufführung oder Ausstellung, und als mediale Übersetzung, in CDs, DVDs, Büchern. Im Idealfall bewirtschaftet Kunst beide Kanäle mit Erfolg. Subventionen braucht es, um den Innovationsmotor am Laufen zu halten. Sie sollen Formen und Produkte ermöglichen, die es nur in kleinen Nischen gibt. Das soll aber immer nur eine Ergänzung zu dem sein, was der grosse Bereich der Kulturwirtschaft ohne staatliche Hilfe produziert. In der Schweiz generiert die Kulturwirtschaft Umsätze von 17 Milliarden Franken; die gesamten Subventionen belaufen sich auf 2 Milliarden, die Umsätze der subventionierten Kultureinrichtungen vielleicht auf 5 Milliarden. Gute zwei Drittel laufen also ohne staatliche Hilfe.
Wie sieht die Zukunft aus?
Wir müssen vermehrt Modelle einsetzen, bei denen man die Künstler langfristig begleitet. Dabei müsste man viel mehr verstehen von ökonomischen Fragen: was ist ein Businessplan, wie bewirtschaftet man einen Markt, wie vermarktet man sich bei hohem Anspruch, wie viele Anbieter braucht ein Segment. Das sind Fragen, die wir höchstens am Rande stellen. Darum sollte man in der Kulturförderung auch Wirtschaftsspezialisten haben, um zu einer gesamthaften Beurteilung zu kommen vom ökonomischen Prozess, in den jeder Künstler reinkommt, sobald er sein Werk auf den Markt trägt. Nur den Nachwuchs frisch ab Hochschule wird man nicht sofort in langfristige Modelle reinnehmen, sondern man muss zuerst schauen, ob ein Künstler überhaupt Talent und Durchschlagskraft hat. Staatliche Förderung setzt dann in der zweiten Phase ein. Bei einem kommerziellen Startup würde man sagen, wenn die ersten Produkte schon draussen sind und man merkt, sie haben Qualität und finden Abnehmer. Man könnte in Zukunft tatsächlich konsequenter Startup-Förderung betreiben. Ich träume manchmal statt von einem Technopark von einem Kulturpark, wo man Gruppen oder Einzelne ansiedeln könnte, die interessante Produkte herstellen, sei es Kunst im strengen Sinne oder „angewandte Kunst“, und dort gute Bedingungen bieten für eine gewisse Zeit. Daneben wird es immer traditionelle Künstlerförderung geben, um einfach die Möglichkeit zu schaffen, Ideen zu haben und Ideen in Werke umzusetzen, die eine Auseinandersetzung auslösen können. Ich glaube aber, wir kommen in eine Phase, in der man davon ausgehen muss, dass der Markt ein essentieller Bestandteil der Kunst- und Kulturproduktion ist und sinnvolle Mischformen sucht. Der Staat wird voraussichtlich nicht mehr in der Lage sein, all das, was er aufgebaut hat, allein zu finanzieren; das Publikum wird ein wachsendes Scherflein beitragen müssen.
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