Andreas von Gunten ist „software as a Service“-Evangelist: SaaS werde sich durchsetzen, weil die Kundenfirmen bei Pannen gar nicht mehr reagieren müssen.
Das ist natürlich eine extreme Verkürzung für die ausführliche Begründung, dieAndreas von Gunten anführt, um Firmen zum Wechsel von der eigenen IT-Infrastruktur zur Nutzung fremder Dienste in der „Cloud“ oder eben durchs Internet zu bewegen. Aber die schönste, die ich heute während eines Telefonats mit Andreas gehört habe.
„Wenn die CRM-Software von Salesforce (die auf den Servern der Herstellerin läuft und von den Kunden via Internet genutzt wird, PS) aussteigt, dann tue ich nur eines: Ich hol mir in aller Ruhe einen Espresso. Mehr muss ich nicht tun, und anrufen schon gar nicht: Grosskunden mit Abertausenden von Mitarbeitern sorgen ohnehin dafür, dass die Betreiberfirma alles daran setzt, so schnell wie möglich wieder verfügbar zu sein.“
Lustig an dieser Aussage ist, dass Amerikaner darin einen Vorteil, Deutsche oder Schweizer aber noch zu häufig einen Nachteil oder gar ein Risiko sehen. Darüber – über die Kultur als Bremser für einen Paradigmenwechsel wie das Cloudcomputing, habe ich mich mit Andreas unterhalten.
Andreas von Gunten gehört zu meinen allerersten Internet-Bekannten: rund zwanzig Jahre vor Facebook, im Jahr 1989, habe ich ihn im Bezahl-Internet von Compuserve getroffen, und wir haben virtuell gefachsimpelt.
Zehn Jahre später habe ich ihn zum ersten und bisher einzigen Mal persönlich getroffen – an der Pressekonferenz zur Gründung seiner Firma Parx, damals die erste „Mitarbeiterlose“ Webagentur: Das Unternehmen setzte voll auf vernetzte Arbeit mit Freelancern.
Inzwischen hat sich Parx ebenso gewandelt wie Andreas – beide sind zu flammenden Vertretern von SaaS – „Software as a Service“, geworden. Dabei, habe ich zu Beginn eines Telefonats mit Andreas eingeworfen, den ich leider während meines Besuchs in der Schweiz nicht mehr getroffen habe, ist das Konzept doch nicht nur mindestens ein Jahrzehnt alt, sondern damals unter dem Namen ASP – Application Service Provider – grandios gescheitert?
Das stimme zwar, wirft Andreas ein, aber eben deswegen, weil es verfrüht und auf der falschen Architektur aufgebaut war: Das ursprüngliche Konzept bestand in individuellen Installationen der Software auf den Servern des „Lieferanten“, die individuell aussteigen konnten und individuell updated werden mussten – das skaliert nicht: Je mehr Kunden der ASP hat, desto grösser werden seine Probleme (Noch heute müsse man sehr aufpassen, dass einem nicht ein ASP-Konzept als SaaS verkauft werde – meist daran zu erkennen, dass es die Dienstleistung auch zur Installation auf dem eigenen Server gebe). Ausserdem war die Internet-Bandbreite noch nicht verfügbar, und die Vorteile für die Kunden wurden marginalisiert.
Heute sei nicht nur die Infrastruktur vorhanden, sondern auch die Architektur von SaaS eine ganz andere. Über dicke Datenleitungen nutzen die Kunden von Anbietern wie Google, Amazon oder eben Salesforce direkt die gleiche, einheitliche Installation der jeweiligen Lösung, und auf den Rechnern der Kunden laufen keine „Clients“ – die Bediensoftware, die früher überall installiert werden musste – sondern es wird alles ohne irgendeine lokale Einrichtung im Browser ausgeführt.
Genau genommen braucht eine Firma, die auf Cloudcomputing setzt, also keine wachsende IT-Abteilung mehr. Und das ist, wie Andreas mir erklärt, derzeit noch eins der grössten Hindernisse bei der Einführung von SaaS in der Schweiz und in Deutschland.
Denn die IT-Abteilungen fürchten, überflüssig zu werden oder ihre Machtstellung einzubüßen (das sagt Andreas nicht, er sagt: „Dort denkt immer einer: das können wir auch selber programmieren.“) Ihre Argumente überzeugen dann die Geschäftsleitung: „Unsere Daten liegen ganz woanders, und wir haben keine Kontrolle mehr“, oder „wir sind von einem grossen Lieferanten abhängig“ und „wir können nur die Standardfunktionen nutzen“.
„Genau darin besteht der grosse Vorteil von SaaS“, sagt Andreas: Prozesse, die längstens von anderen auf ihre stromliniengünstigste Form getrimmt worden sind, muss man nicht neu erfinden oder gar in eigener Software und eigenen Lösungen neu abbilden – das ist fast immer vollkommen unwirtschaftlich. „Ich höre hier immer wieder, dass eben die Lösung in genau dieser Firma eine ganz spezielle sei. Dazu ist zu sagen, dass ein KMU, das zehn Jahre nach seiner Gründung sehr spezielle Abläufe für Standardprozesse hat, wahrscheinlich etwas falsch macht.“
Damit sind wir an einem Punkt der kulturellen Unterschiede zwischen den mit Siebenmeilenstiefeln voranstürmenden USA und Europa, der sich durch alle Fragen der Technologienutzung hindurchzieht. Die Amerikaner sehen in jeder neuen Technologie zuerst einmal eine Chance, und die wollen sie nutzen. Die Europäer sehen zuerst die Gefahren und Risiken, und die wollen sie vermeiden.
Beide Ansätze haben ihre Berechtigung, aber die Europäer werden aufgrund ihrer Vorsicht immer hinter den Amerikanern herhinken, wenn es um wesentliche Paradigmenwechsel geht.
Ein solcher Paradigmenwechsel ist die möglichst vollständige Auslagerung der IT in die Cloud, deren Vollzug Andreas von Gunten in den USA in vollem Gange sieht. Die Amerikaner, die Unternehmensentscheide in erster Linie aufgrund der Frage fällen, ob sie sich auszahlen, haben sofort erkannt, dass sie davon profitieren, wenn sie sich mit den kleinen Alltagsproblemen der Infrastruktur, Updates und Patches und ausgestiegener Server nicht mehr herumschlagen müssen, und die Informatiker im eigenen Haus sich auf die grossen Strategiefragen konzentrieren können. Ausserdem, und das haben Firmen wie Google und Amazon längst bewiesen, können grosse Anbieter Updates und Probleme wie Spam oder Server-Redundanz viel wirtschaftlicher und wirksamer angehen.
Die Europäer sehen weniger, dass sie Probleme auslagern, als dass sie eben auch Daten aus der Hand geben, und den Einfluss auf Details verlieren: „Kleinunternehmen in der Schweiz geben grundsätzlich viel zu viel Geld für Ihre Webpräsenz aus. Sie beauftragen eine Agentur, die möglichst viel Geld verdienen will, wenig von den neusten Technologien versteht, aber im Gegenzug jede Kleinigkeit auf Mass herstellt.
Die Abneigung gegen eine wesentlich günstigere, jederzeit skalierbare und blitzschnelle Lösung mit SaaS kann daher rühren, dass sich da eben der Firmenchef nicht mit dem Designer zusammen setzen und auch noch das coole Flashintro in die Website gestalten kann. Was übrigens weder seine Aufgabe ist, noch der Firma viel bringt.“ Die Tatsache, dass man in einr SaaS-Anwendung vielleicht das Firmenlogo nicht genau in den vorgegebenen Massen und oben rechts ins Interface einsetzen könne, reiche bei Schweizer Firmen bisweilen zum No-Go.
Mit solchen Widerständen zu kämpfen, habe keinen Sinn, sagt Andreas. Er teilt die Unternehmen in Deutschland und der Schweiz in drei gleiche Drittel ein: „Es gibt jene, die wechseln und die Vorteile von Cloudcomputing voll nutzen wollen. Es gibt die, die es sich langsam vorstellen können und denen man die Vorteile erklären muss. Und es gibt die, welche einfach noch nicht bereit sind.“
Die letzte Gruppe gehöre nicht zu seinen Kunden. Aber Andreas ist überzeugt, dass sie über kurz oder lang umsteigen werden: Es handle sich eben nicht um eine Mode, sondern um einen Paradigmenwechsel.
Und der geht einher mit dem rasend schnellen Wechsel zu einer Arbeitswelt, in der wir nicht mehr mit einem, sondern mit vielen Geräten zugleich auf die gleichen Daten und Anwendungen zugreifen wollen oder müssen.
Im Laufe des Gesprächs ist mir eine persönliche Analogie eingefallen: In den neunziger Jahren wurde Imap populär, ein E-Mail-Protokoll, bei dem die elektronische Post nicht mehr auf den eigenen Rechner geholt, sondern auf dem Server belassen und dort fern-verwaltet wird.
„Ich will doch meine Email nicht im Internet liegen haben“, sagte ich und blieb lange auf dem alten POP3-System – so lange, bis ich gelegentlich an einem zweiten Rechner und bald schon mit meinem Palm und dem Mobiltelefon auf die gleichen Mails zugreifen musste: Aus der Synchronisierungs-Hölle, die durch den ständigen Abgleich aller benutzten Geräte immer komplexer wurde, half Imap (oder Gmail) schlagartig hinaus. Cloudcomputing in einem frühen Stadium.
„Es gibt einen Nachteil“, sagt Andreas von Gunten. „Wir müssen Online sein.“
Andrerseits: Das sind wir jetzt schon fast immer und überall. Und wenn wir es nicht mehr sind, dann holen wir uns eben einen Espresso. Oder gehen mal einen halben Tag baden .
Schöner Artikel, alles in die Cloud!
Das teils berechtigte Argument „wir müssen immer online sein“ stimmt wohl. Die Internetverbindung wird so eben zum „Single point of failure“ und ist Sie nicht verfügbar kann man genauso gut Daumen drehen…
Ich würde aber sagen der Status von always-on lässt sich leichter bewahren, als die Stabilität des eigenen Servers im Keller…
Grüße
Patric