Offline arbeiten? Geht nicht, kann ich nicht. Die Freiheit, die uns das Internet gegeben hat, nimmt es uns bisweilen wieder weg. Und mehr.

Kreuzlein neben dem eigenen Namen: Das Telefon rät vom Gebrauch ab... (© PS)

In den neunziger Jahren lebte meine Freundin zwei Jahre in New York. Ich sass in Basel und hatte Sehnsucht, und die schlug sich in Rechnungen der Swisscom in Höhe von 800, 900 und 1000 Franken pro Monat nieder.

Ein Dutzend Jahre später lebe ich in San Francisco und telefoniere immer mal wieder stundenlang mit Kollegen in der Schweiz und in Deutschland – und bezahle keine 100 Dollar pro Monat dafür. Ich nutze keine der alten Telekom-Firmen, sondern zwei verschiedene, sehr innovative Voice-Over-IP-Firmen. Ich kann arbeiten wo ich will (ausser im Death Valley), weil alles, was ich brauche, ein offenes Funk-Wlan ist: Meine Zürcher Telefonnummer begleitet mich rund um den Globus auf dem Mobiltelefon oder als Soft-Telefon auf dem Notebook; per Instant-Messaging auf dem Handy bin ich für die Kolleginnen und Kollegen fast rund um die Uhr ansprechbar; alle wichtigen Informationen liegen in unserem Intranet bereit, und längere Diskussionen führen wir schriftlich im Wiki.

Die Verführung von „Always on…“

Bei meinen Aufenthalten in der Schweiz ist meine erste Bürostunde die Zugfahrt von Basel nach Zürich, mein Smartphone ist das Modem und das Notebook zwar etwas langsamer, aber fast so online wie im Büro. Tolle neue Webservices haben mich dazu verführt, Dinge wie eine Online-Rechtschreibekorrektur zu nutzen. Ich bilde mir nicht nur ein, nicht mehr offline arbeiten zu können – über weite Strecken stimmt das auch.

Und ich hab mich so sehr an Breitband-Anschluss und jederzeit-Internet vie Wlan und UMTS gewöhnt, dass schon eine Umleitung des IC Zürich-Basel auf die Rheinlinie zum Bremsklotz wird: Auf der Strecke ist die Swisscom-Abdeckung schlechter als im Mittelland.

Moderne Startups funktionieren zunehmend nach diesem oder ähnlichen Mustern: dezentral, virtuell, auf Basis von kostenlosen Open-Source Anwendungen, Breitband-Kommunikationsmitteln und Echtzeit-Datasharing.

Statt einer Telefonschaltzentrale hat man einen externen Voip-Dienstleister, statt einem Server bei einem Hoster ein Konto bei Amazon EC2, und irgendwo führt eine 10Mb-Datenleitung ins Haus.

Wir arbeiten fast immer und überall – bis die Leitung weg ist. Die Online-Welt bietet uns Vorteile und Vergünstigungen auf allen Seiten. Aber all das kommt zu einem Preis: Den Single Point of Failure, die dicke Datenleitung als Lebensschlauch. Weil alles über sie läuft, geht nichts mehr, wenn das Netz ausfällt.

…und die Abhängigkeiten, die sie bringt.

Wir haben das während der letzten Tage im Blogwerk-Hauptquartier gespürt: Langsam sank der Durchsatz auf den Kabeln. Zuerst wurde das Internet langsamer, dann stiegen die Telefone aus – die freundlicherweise anzeigen, dass der Durchsatz kein Gespräch mehr erlaubt. Gestern war nachmittags dann der Tiefpunkt erreicht und wir alle der Meinung, dass ein vernünftiges Arbeiten nicht mehr möglich sei.

Ich will mich hier keineswegs über eine fast einmalige Panne beschweren: In fünf Jahren hat mein Internetanschluss in San Francisco mich genau zweimal ein paar Stunden im Stich gelassen, und bei Zeix/Blogwerk in Zürich ist man grundsätzlich auch weitgehend reibungslose Technik gewöhnt.

Der Punkt ist, dass wir durch die offene Architektur des Internets von vielen Vorteilen profitieren, aber auch einen grossen Nachteil in Kauf nehmen müssen: Wir sind dem Netz ausgeliefert.

„Downtime-Urlaub“?

Mit dem Netzzugriff ist das Wiki weg, die Kollegen, die virtuell (dank Instant Messaging) Tausende Kilometer entfernt neben einem sassen, verstummen; die Telefone sind unbrauchbar; im Sitzungszimmer wird eine Präsentation mit live-Websites von Dritten als Beispielen zur Tortur. Es fehlt nicht plötzlich einfach ein Werkzeug, das ich für die Arbeit brauche, sondern auf einen Schlag fast alle.

Nebenbei war es aber auch unerträglich heiss, und das Wort „hitzefrei“ machte die Runde. Am Ende hat zwar niemand die Konsequenzen gezogen und den See aufgesucht. Stattdessen haben die Techniker der eigenen und aller involvierten Firmen fieberhaft nach den Fehlern gesucht; das Management über Redundante Systeme gesprochen und die Mitarbeiter schwitzend über die Ausfälle geflucht.

Dabei hätte man sich auch sagen können, dass nichts einen freien Tag besser rechtfertigt als der faktische Totalausfall der Arbeitsinfrastruktur: Vielleicht sollte man sich in der neuen Firmenkultur von Hitze- auf „Downtime-Urlaub“ verlegen.