Leidenschaft ist der Antrieb, Ratio die Steuerung eines Startups. Das führt zu Konflikten – aber die sind besser als der Verzicht auf eins von beiden.
„Eine Kündigung ist doch kein Grund, emotional zu werden“: Der Satz hat sich in mein Bewusstsein gebrannt. Er stammt von einem Vorgesetzten, der ihn anlässlich einer Sparmassnahme von sich gab, die rund ein halbes Dutzend meiner Arbeitskollegen den Job kostete.
Mit andern Worten: Ein Job ist ein Job ist ein Job. Selber schuld, wer sich mit seiner Arbeit oder dem Produkt identifiziert hat.
Eigenartig nur, dass bei Stellenausschreibungen so häufig „hungrige“ Mitarbeiter gesucht werden (hart an der Grenze zum Zynismus), die bereit sind, sich „ganz der Herausforderung“ zu stellen.
Der Widerspruch zwischen Leidenschaft und Kalkül trifft nicht nur Angestellte. Gründer – die per definitionem mit Leidenschaft etwas unternehmen – stehen wohl noch mehr im Spannungsfeld zwischen dem uneingeschränkten Glauben an ihre Mission und den wirtschaftlichen Realitäten.
Das ist mir dieser Tage selber schmerzlich bewusst geworden, als wir von Blogwerk schweren Herzens einsehen mussten, dass wir unser Blog „medienlese.com“ besser einstellen.
Zum Bedauern über den sachlichen Beschluss gesellt sich die Ungewissheit und das Schuldgefühl: Ist das der richtige Entscheid, müssten wir nicht nur noch ein bisschen länger durchhalten? Oder haben wir vielleicht eher zu lange gewartet und uns von der eigenen Leidenschaft für das Projekt blenden lassen?
Hier fallen mir dann all die Ratschläge der Startup-Gurus ein, in deren Leitsätzen der Widerspruch zwischen unternehmerischer Leidenschaft und wirtschaftlichem Kalkül überall immanent ist, ohne dass sie einen Ausweg anbieten:
- Lass Dich nicht von deiner Idee abbringen oder ablenken,
aber:
- Stell her, was die Leute wollen, nicht was Du willst, und pass Dein Produkt ständig an.
Und
- Lass Dich nicht von Geschäftsleuten bremsen und dir von den Kapitalgebern keinen Manager verpassen, der ja doch nichts von Deinem Business versteht,
aber:
- Sei ein geiziger Buchhalter und investiere nur dort, wo es wirklich sein muss.
Wie, bitte, soll ich wissen, wo es wirklich sein muss, wo ich doch ganz einfach das beste produzieren will?
Seit der ersten Finanzierungsrunde mit dem sich plötzlich eröffnenden Spektrum an Möglichkeiten, aus dem wir uns für ein paar wenige entscheiden mussten und seither nicht viel mehr als hoffen können, dass es die richtigen waren – denn ausser dem Scheitern gibt es keinen eindeutigen Indikator für richtig oder falsch – stelle ich mir die Frage, ob und wann man Emotionen und Leidenschaft unterdrücken und ausschliesslich auf Zahlen und Tabellen setzen muss.
Ich glaube inzwischen, der Mittelweg liegt darin, durchaus emotional und mit Verve zu argumentieren. Der Entscheid aber sollte danach aufgrund der Resultate dieser Diskussion – Fakten genauso wie Einschätzungen! – gefällt werden. Das kann nicht nur, es muss gelegentlich zu Beschlüssen führen, gegen die man selber grade noch leidenschaftlich plädiert hat.
Das ist Management. Es ist die Aufgabe der Entscheidträger, und auch die müssen dazu keineswegs gefühlslose Erbsenzähler sein oder sich auch nur so benehmen.
Der Job der Mitarbeiter aber ist es, ihrer Leidenschaft zu folgen und sie zu verteidigen. Ein gewisses Mass an Emotionalität ist dabei unabdingbar, denn sie ist der Ausdruck der Leidenschaft.
Wenn ein schwerwiegender Beschluss also „kein Grund“ mehr ist, „emotional zu werden“, dann ist dieser Beschluss zu spät gefasst worden: Das Projekt war bereits gescheitert, als die Leidenschaft verflogen war.
Einen derartigen Mangel an emotionaler Intelligenz kann sich ein Startup nicht leisten. Der eingangs zitierte Satz müsste deswegen weniger denen, an die er gerichtet war, als den Vorgesetzten dessen, der ihn von sich gab, zu denken geben.
Ich glaube deinem ehemaligen Vorgesetzten nicht. Der ertrug diese Emotionen nicht. Es gibt keinen grösseren Scheissjob als zu künden. Einzig eine fristlose Kündigung wo ein klares Fehlverhalten des Mitarbeiters vorliegt, ist etwas einfacher. Aber sonst – niemals.
In meinen 16 Jahren lernte ich keinen Manager und schon gar keinen Unternehmer kennen, der emotionslos kündete. Im Gegenteil. Dieser Entscheid trägst du in dir herum, du fragst dich, was kann ich anders machen, wie geht es besser. Habe ich versagt? Du denkst an die Schicksale, an deine Verantwortung. Unternehmer die in den Augen der anderen harte Hunde sind, stossen gnadenlos an ihre Grenzen.
Ich kenne einen hochrangigen Manager einer internationalen Versicherungsgesellschaft, der hatte schlaflose Nächte und sein Alkoholkonsum nahm stark zu, weil er auf einer Liste Namen streichen musste. Namen von Mitarbeitern die er nie sah und nie sehen wird. Er wünschte sich, dass ihm wenigstens einer dieser Mitarbeiter gegenüber sitzen würde und ihm seine Meinung sagt. Er suchte Vergebung aber fand keine. In den Augen der Belegschaft war er der kaltherzige Manager von oben, der keine Gnade kennt.
Für alle die je künden müssen. Ja, ihr dürft euch mies fühlen. Aber denkt daran, wenn ihr es zu spät anpackt, geht womöglich die Firma den Bach runter und dann verlieren noch mehr die Chance auf eine Zukunft in eurer Firma.
Firmen mögen in der Startphase Abenteuerlust und Pioniergeist befriedigen. Die Gründer sprühen nur so vor Ideen. Doch irgendwann soll der Laden auch rentieren, den Nachwuchs ernähren etc. Spätestens dann kommen die kühlen Rechner und Erbsenzähler ins Spiel, die Juristen, die sich EULAS und andern Schmarren zur Besitzstandswahrung ausdenken, die Patentanwälte, die Fortschritt und Wettbewerb behindern, die abgehalfterten Manager, die einen Betrieb bestenfalls als Renditeobjekt taxieren. Damit verliert die Arbeit für die Gründer ihren Reiz. Sie springen ab und mit diesem Brain Drain verkümmert oder verkalkt der Betrieb, dessen einziges Ziel nur noch darin besteht, die Zurückgebliebenen, die sich keinen Wegzug leisten können, durchzufüttern.