Im Startup-Diary aus New York schreibt Phil Reichen über Pixables Erfahrungen mit Outsourcing. Fazit: Kostenersparnisse können zum Bumerang werden.

von Philip Reichen, Head of Products bei Pixable

Startup-Tagebuch: Philip Reichen von Pixable

Make or Buy? Out-oder Insourcing? Off-oder Nearshoring? Das sind Fragen, die sich heute nicht nur Grosskonzerne sondern auch Startups stellen. Nicht nur auf Startwerk ist das Thema Auslagern mit all seinen Facetten ein Dauerbrenner.

Praktisch jeder Tech-Blog enthält mehrere Artikel rund um das Thema. Universitäten versuchen sogar, angehenden Unternehmern in Vorlesungen beizubringen, was sie selber machen sollen und was sie besser auslagern.

Anhand des Beispiel Beispiels Pixable möchte ich erläutern, wie ein amerikanisches Webstartup – das die komplette Produktentwicklung von Tag eins an nach Nordindien ausgelagert hat – nicht nur überlebt, sondern sogar erste Erfolge feiert: Gerade vor kurzem wurden wir mit mehr als zwei Millionen Dollar in einer Series A von Highland Capital Partners gefunded.

Dies funktioniert jedoch meiner Meinung nach nur unter folgenden Umständen:

  • Die Unternehmenskultur muss von Beginn weg global sein: Bei Pixable ist die grosse Mehrheit der Mitarbeiter, zwei Gründer inklusive, nicht amerikanisch und mit Arbeitsvisum in den USA!
  • Sattelfeste Sprachkenntnisse: Die Mehrheit von Pixables Mitarbeitern (inklusive der Entwickler) sind mindestens zweisprachig: Englisch und Spanisch. Wir haben auch Mitarbeiter, die fliessend in Hindi und Mandarin sind.
  • Es sollte sich nicht um sensitive Daten handeln, welche hin- und hergeschickt werden. Also beispielsweise Foto- und Games-Dienste. Keinesfalls sollte man Finanz- oder ähnliche Services von Tag eins an outsourcen.
  • Entwicklungsgeschwindigkeit à la Zuckerberg („move fast and break things“) sollte Wettbewerbsvorteil Nummer eins sein!
  • Die Industrie, in die man als Startup einbrechen will, sollte tiefe Eintrittsbarrieren haben. Nur dann überwiegen die Vorteile des Outsourcing.

Druckservice und Aggregator für Fotos in der Cloud

Pixable.com wurde im März 2009 von drei MIT-Absolventen in Boston gegründet und bewegt sich in der klassischen Consumer-Internet Industrie. Das Ziel von Pixable ist es, aus den Unmengen von Digitalfotos der User, die heutzutage zum grössten Teil auf Social Networks wie Facebook gespeichert werden, interessante Fotoprodukte zu kreieren. Dazu werden Fotos automatisch aus dem eigenen Netwerk aggregiert und mit wenigen Klicks in personalisierte Fotoprodukte verwandelt. User können zum Beispiel Alben erstellen, welche sich aus Fotos von Facebook, Flickr, Picasa, Photobucket und SmugMug importieren und in einem browserbasierten Albumkreator arrangieren lassen. Ausserdem werden nicht nur Photos importiert sondern auch zusätzliche Metadaten wie Captions und Tags mit denen man weitere spannende Produkte kreieren kann.

Die momentane Produktpalette besteht aus Fotoalben und Kalendern sowie einigen Facebook-Apps wie MosaicMe und QuickPix. Weitere Produkte stecken in der Pipeline und werden bald lanciert.

Outsourcing ab Tag eins

Da sich die drei Gründer, zur Zeit der Gründung als Vollzeit-Studenten am MIT befanden, blieb keine Zeit um das Coding der Seite (hauptsächlich PHP und Flex) selber zu übernehmen. Die Arbeit der Gründer beschränkte sich in der Anfangsphase auf R&D, das Erstellen von Businessplan und Specs, sowie die Suche nach Finanzierung. Das Hauptquartier von Pixable haben die Gründer nach Abschluss ihres Studiums am MIT nach New York verlagert. Hier in NYC sitzt das Management, weitere Coder und Designer, Marketing und Produktmanagement. Nach einer ersten Runde von Angel Money machten die Gründer den Schritt nach Indien: Es wurde ein vier-köpfiges Programmiererteam in Indien (PHP und Flex) angeheuert, um alle Specs und den ersten Prototypen umzusetzen. Mittlerweile ist das Team in Indien auf 6 Programmierer angewachsen. Zusätzlich sitzen neu vier weitere Programmierer und ein Designer in Argentinien. Dieses Team in Südamerika kam erst in den letzten 2 Monaten dazu, da das Startup stark am wachsen ist und da Buenos Aires nur eine statt Indiens zehneinhalb Zeitzonen von New York entfernt liegt. Kostenmässig, und das kommt für manche vielleicht überraschen, liegen die Ausgaben für die Coder in Argentinien auf dem gleichen Niveau wie Indien!

The daily struggles of Product Management

Bei Pixable wird McLuhan’s Global Village auf die Spitze getrieben:
Als Head of Products leite ich das komplette Produktmanagement über 3 Länder. Das heisst konkret, dass die ersten zwei bis drei Stunden meines Arbeitstages mit Skypen, Chatten, Conference Calls und Screensharing verbracht werden und das zwischen New York, Indien und Argentinien. Zwischen 10 und 11 Uhr morgens (in NYC) beenden unsere indischen Kollegen ihren Arbeitstag. Danach checken wir hier in NYC den Arbeitsfortschritt und geben dementsprechende Anweisungen an unsere Entwickler in NYC und Argentinien. Pixable pflegt eine extrem starke Kommunikationskultur: Alle Mitarbeiter aller drei Teams sitzen jeweils zusammen in einem grossen Raum. Jeder hört was der andere sagt. Aus Koordinationssicht hilft dies ungemein, alle auf dem gleichen Weg zu halten. Es aber auch hin und wieder sehr laut werden. Gute Kopfhörer und die dementsprechende gute Musik sind da ein Muss! Da Pixable eine virtuelle Organisation ist kann das konkret heissen dass Programmier hier in New York mit Programmierern in Argentinien manchmal ganztägige Skype-Gespräche inklusive Screensharing führen.

Fazit nach 5 Monaten Productmanagement in NYC

Meiner Meinung nach überwiegen die Vorteile des kompletten Outsourcings der Produktentwicklung nur bis man eine Series-A-Finanzierung in der Tasche hat. Danach überwiegen die Nachteile. In dem Moment, in dem man die Finanzspritze bekommt, hätte man nichts lieber als alle Programmierer und Designer in NYC. In unserem Fall ist das extrem schwer, weil das ganze Wissen rund um zehntausende Zeilen Code in Indien sitzt und wir nur langsam, Modul für Modul entweder nach NYC oder nach Buenos Aires rückverlagern können.

Aus zeitlicher und finanzieller Notwendigkeit sahen sich die Gründer – die damals einen vollzeit MBA am MIT absolvierten – dazu gezwungen die komplette Produktentwicklung auszulagern. Ohne diesen Schritt würde es Pixable heute nicht geben. Dieser erste Schritt war nötig und auch richtig. Wäre ich damals mit einem Vollzeitstudium beschäftigt gewesen, hätte ich sehr wahrscheinlich den gleichen Weg gewählt. Es ist schlichtweg zu teuer, vier Programmierer vollzeit in Boston während mehreren Monaten anzuheuern nur um den ersten Prototypen zu bauen, der abhängig vom Feedback, sogar wieder ganz verworfen werden kann.

Nun steht Pixable an einem kritischen Punkt, da die Produktentwicklung über drei Länder in drei Zeitzonen verteilt liegt. Dies verhindert agiles und schnelles Development und streckt Iterationszyklen ungemein in die Länge. Im Endeffekt heisst das, dass Pixable nicht so schnell ist wie wir gerne sein möchten. Da manche Prozesse zwischen NYC, Buenos Aires und Indien koordiniert werden müssen, erinnert diese Kultur eher an einen traditionellen Grosskozern und nicht an eine agiles Web-Startup.

In der Rubrik Startup-Diary schildern Jungunternehmer wöchentlich, mit welchen praktischen Problemen sie in ihrem Gründeralltag konfrontiert werden und welche Lösungsansätze sie gefunden haben.
Wenn man also ein Web-Startup auf die Beine stellen will, jedoch weder über das technische Know-How noch über massig Kapital verfügt um es lokal zu rekrutieren sehe ich zwei Alternativen für den allerersten Schritt: Entweder man sucht sich ein Co-Gründerteam, welches über das technische Talent verfügt und bereit ist für wenig (oder keinen Cash) dafür für Firmenanteile zu arbeiten und den ersten Prototypen zu entwickeln oder man geht den „Pixable-Weg“ und lagert die Entwicklung von Tag eins weg komplett aus, behält dafür alle Firmenanteile für sich und hat um einiges tiefere Personalkosten.