Wie sehr soll man sich von der Infrastruktur einzelner Akteure abhängig machen? „Gar nicht“ wäre schön, geht aber selten.

Aufeinander aufbauen.Es begegnet Startups in diversen Varianten – das Plattform-Dilemma. Für Startups ist es eine wichtige Frage, wie sehr sie bei ihrer Suche nach Nischen in einer veränderlichen Umgebung abhängig sind von anderen Playern. Gerade IT-Unternehmen bauen in der Regel auf Bestehendem auf.

Wie stark man sich dabei auf ein bestimmtes Gleis begibt und sich den Rückweg verbaut, ist Teil eines grundlegenden Trade-offs.

Es geht bereits los bei den Partnership-Programmen der Software-Giganten: Soll man sich im Austausch gegen eine günstigere Entwicklungsplattform und Support mit einem der M.I.S.O.s (die dicken Fische Microsoft, IBM, SAP und Oracle) ins Boot setzen oder schon hier auf Unabhängigkeit pochen? Solche Kollaborationen sind nicht vom Schiff weg gut oder schlecht, je nach Art der Kooperation oder Nutzung von Entwicklungswerkzeugen ist Lock-in keine Gefahr oder ein ständiger Klotz am Bein.

Twitter schaltet Konkurrenz aus

Diesem Thema geht auch Jason Cohen in einem aktuellen Beitrag nach – Platform Independence. Die Frage: Wie teuer kann einen solche Abhängigkeit später zu stehen kommen; oder kann es im schlimmsten Fall sogar um die Geschäftsgrundlage gehen? So geschehen bei den Twitter-Werbungsvermittlern TweetUp (jetzt PostUp) und Ad.ly. Als Twitter im Mai 2010 seine API plötzlich für bezahlte Fremd-Werbung schloss, um diesen Kanal selbst bewirtschaften zu können, zog sie beiden Startups praktisch den Stecker – von einem Tag auf den anderen. Die Anbieter hatten sich darauf spezialisiert, gegen Gebühr Werbetweets in der Timeline zugkräftiger Twitterer unterzubringen. Durch die Änderung der Nutzungsbedingungen waren beide gezwungen, ihr Geschäftsmodell ganz neu aufzustellen. Mit mässigem Erfolg.

War es von Beginn an eine schlechte Idee, auf eine Nische im Ecosystem einer noch so jungen Firma wie Twitter zu setzen? Das lässt sich im Nachhinein leicht sagen, ist aber zu einfach. Der Vorwurf würde auf eine Menge Startups passen, die ein solches Risiko in Kauf genommen haben, damit aber nicht aufgelaufen sind. Natürlich ist Twitter alles andere als der sprichwörtliche Fels, auf den man bauen möchte: Twitters eigene Ausrichtung und Monetarisierungsidee waren (und sind) nicht recht klar und werden auch noch weitere Veränderungen erleben – kein Wunder, wenn die Firma da scheinbare Trittbrettfahrer abwirft. Diversifikation scheint plötzlich eine sehr gute Idee zu sein.

Apple als Negativbeispiel

Die Plattform-Frage lässt sich auf fast alles anwenden. Paul Graham bezieht sie zum Beispiel in einem aktuellen Text auf die Tablets. Seiner Meinung nach ist die Tabletidee so zukunftsweisend, dass sie unseren Computeralltag bald bestimmen wird. Sein Punkt ist aber, dass daraus bald nicht mehr zwingend Apple den Hauptprofit schlagen muss. Graham ist sich nämlich sicher, dass früher oder später die offenste Plattform das Rennen machen wird. Fortlaufend schlechte Erfahrungen der Entwickler in ihrer Abhängikeit von Apple dürften irgendwann den Ausschlag geben – natürlich sofern eine funktional ebenbürtige Konkurrenz auftaucht.

Die Geschäftsmodelle von Startups sind selten in Stein gemeisselt. Sie steigen ein in neu enstehende Industrien, in denen unklar ist welcher Anbieter am Schluss das Rennen machen wird. Geschwindigkeit und das Finden einer Nische im Umfeld bestehender Unternehmen sind typisch für Jungunternehmen. Da macht es Sinn, kontextabhängig zu entscheidend, wieviel Abhängigkeit zu viel Anhängigkeit ist.

Was sind Eure Erfahrungen mit Plattformfragen? Habt Ihr den einen oder anderen Vorschlag für eine Daumenregel, wo man zurückhaltend sein sollte bei möglichen Abhängigkeiten?

Bild: oskay (CC-Lizenz)