Poken, die Schweizer Herstellerin der „digitalen Visitenkarte“, bereitet in San Francisco den Eintritt in den US-Markt vor. Aufregende Zeiten für Gründer Stéphane Doutriaux.

Stéphane Doutriaux in der Lounge im Pier 38: 'Poken Inc'. (© Bild PS)

Irgendwo im amerikanischen Bundesstaat Wisconsin gibt es ein Dorf, dessen Bewohner allesamt mit einem Poken ausgestattet sind. Oder zumindest könnte man das annehmen, denn ein Händler dort hat die bisher höchste Zahl an Poken in den USA verkauft. Und das noch vor dem offiziellen Marktstart der Schweizer Herstellerin digitaler Social-Network-Visitenkarten in den USA.

„Wir haben bis jetzt noch keinen Rappen in irgendeine Form von Marketing gesteckt. Seit Januar produzieren wir monatlich rund 60’000 Pokens, mit fast einer Verdoppelung jeden Monat, aber wir sind restlos ausverkauft“, erklärt mir Stéphane Doutriaux, der Poken-Gründer, in San Francisco.

Bei meiner Ankunft im zum Startup-Zentrum umfunktionierten Pier 38 am palmengesäumten Embarcadero in San Francisco steht Stéphane im Treppenhaus. Mit der Rechten drückt er das Handy ans Ohr, mit der Linken spielt er mit einem Schlüsselbund, von dem einer dieser typischen amerikanischen Mietwagen-Anhänger baumelt.

„Das Dokument ist etwas zu detailliert“, erklärt er seinem Gesprächspartner, „es geht ja nicht darum, die Kunden einzuschüchtern.“ Sobald man es in den USA mit Juristen zu tun habe, würden die Dinge überlegalisiert, sagt Stéphane sinngemäss, und macht klar: Der Poken-Gründer, gebürtiger Kanadier und Wahlschweizer, vor drei Tagen aus Lausanne nach San Francisco übergesiedelt, ist kein Anfänger in Sachen amerikanische Geschäftskultur.

Und doch steht er erst ganz am Anfang eines Einzugs in den grössten Binnenmarkt. Seine Westschweizer Firma ist weit über Europa hinaus bereits ein Riesenerfolg – aber die Eroberung des US-Marktes verlangt allein aufgrund der zu erwartenden Dimensionen nach einer sorgfältigen Vorbereitung. „Wir kriegten immer mehr Anfragen aus den USA für Partnerschaften oder von Leuten, die als Poken-Wiederverkäufer einsteigen wollten. Diese Kontakte waren schwierig abzuwickeln, wegen der Zeitunterschiede, aber auch aufgrund der kulturellen Differenzen – und uns wurde schnell klar, dass wir in den USA eine Niederlassung gründen mussten.“

Gesagt, getan: Bei einer Geschäftsreise war Stéphane in San Francisco auf freistehende Büros im Pier 38 aufmerksam geworden. Eins davon ist jetzt sein neuer Arbeitsplatz – neben drei Mitarbeitern, fünf, sechs Pulten und einem Drucker ist noch nicht viel von Poken zu sehen. Die Niederlassung teilt das Stockwerk und eine riesige Lounge mit einer ganzen Reihe Webstartups (die von mir unterstellte Verbindung zu Automattic-CEO Toni Schneider und seiner VC-Firma TrueVenture, die beide auch im Pier 38 domiziliert sind, erweist sich als Zufall – bis zu meinem Besuch wusste Stéphane nichts von diesen Nachbarn.)

Ich bin aufgrund eines falschen Agenda-Eintrags eine Stunde zu spät. Und obwohl Stéphane eine weitere Kollegin am Flughafen abholen müsste, gibt er mir schnell Zeit für ein paar Fragen. „Am Flughafen dauert das eh mit dem Zoll und dem Gepäck. Und auch wenn Du ein andermal wiederkommst – Zeit habe ich ja doch nie.“

Obwohl die Umstände und die Umgebung die gleichen sind, in denen sich all die Web2.0-Startups am Golden Gate und im Silicon Valley befinden, macht mir Stéphane schnell klar, dass Poken eine ganz andere Gattung von Unternehmung ist: „Wir sind ein Hardware-Hersteller.“ Während bei Facebook noch immer nicht klar ist, wie der Erfolg monetarisiert werden soll, füllen bei Poken die Umsätze knapp ein Jahr nach der Gründung die Kasse. Der Break-Even war im Januar, kurz nach Produktionsbeginn, erreicht. Inzwischen macht der riesen Erfolg natürlich neue Investitionen nötig.

Die kleinen USB-Sticks, die mittels Funkchip den Besitzern den Austausch von Social-Network-Profilen ermöglichen, gehen weg wie warme Brötchen; die Website, über welche die Poken-Benutzer ihre „digitale Visitenkarte“ verwalten, steckt allerdings noch im Alpha-Stadium. „Wir wollten im Januar ein paar Testverkäufe in der Schweiz lancieren“, lacht Stéphane, „und dann haben die holländischen Medien ‚poken‘ zum Wort des Jahres 2009 erklärt, und wir wurden von Kundenanfragen überrannt.“

Ein Traumstart, mit dem Schritt zu halten eine zwar sehr angenehme, aber dennoch typische Herausforderung für (erfolgreiche) Startups ist: Vor etwas mehr als einem Jahr bestand die Firma Poken aus Stéphane Doutriaux und einem angeheuerten Softwareingenieur. Heute zählt das Team 19 Köpfe, und in den nächsten Wochen werden es einige mehr sein müssen.

„Die Schönheit an unserem Konzept ist, dass wir nicht einfach ein Produkt verkaufen – wir lassen die Verkäufer unserer Poken am Erfolg teilhaben.“ Denn die Firma verkauft die Sticks nicht selber, sondern setzt auf ein virales Modell: Bewerber können die Poken zum Engros-Preis einkaufen und sich mit der satten Marge auf den Sticks einen schönen Profit erwirtschaften. „Die Leute machen richtig Geld. Du kannst hier jetzt ein Paket Poken kaufen und wirst wahrscheinlich auf der Strasse oder im nächsten Starbucks zehn Stück davon zum Retail-Preis los. Damit hast Du an den Poken mehr verdient als wir.“

Poken selber habe bisher keinen Rappen ins Marketing gesteckt, sagt Stéphane stolz – aber das Web ist bereits heute voll von „Poken-Shops“. Das Umsatzmodell der Herstellerin ist via Zubehör, neuen Designs und neuen Modellen fast beliebig erweiterbar.

Die hohe Marge und die Lieferknappheit tragen das ihre dazu bei, dass sich Poken nicht um Händler, sondern diese sich umgekehrt um die Zulassung bei Poken bemühen müssen – die Firma muss aus dem Ansturm die aussichtsreichsten Wiederverkäufer auswählen. Und dabei soll es bleiben: „Ich sehe die Poken nicht irgendwo in einem Regal eines Grossverteilers liegen. Sie werden besser an Messen, Konferenzen verkauft und und als Werbegeschenk abgegeben.“

Nicht nur die Holländer reissen sich um die Poken – „Aber die haben den Anfang gemacht. Die Niederländer sind verrückt nach Gadgets, ihnen gefällt das knuddelige Design, die Emotionalität, und ihnen ist es offensichtlich egal, dass unser System noch nicht ganz fertig und die Website noch kaum mehr als ein Entwurf ist.“ In den übrigen 21 Ländern, in denen Poken bereits verkauft werden, werde allerdings da und dort Kritik an der Usability der Website laut, gibt Stéphane unumwunden zu. Und das „niedliche“ Design der Visitenkarten-Sticks soll im Sommer mit einer angemessenen Lösung fürs seriöse Business ergänzt werden, über die sich der Poken-Gründer aber keinerlei Details entlocken lässt.

Er ist ohnehin jetzt vollständig mit der Vorbereitung des US-Markteintritts beschäftigt – und hier in San Francisco zweifellos am richtigen Ort dafür. Die Nachfrage dürfte allein in der Stadt und im Valley die aktuellen Lieferkapazitäten weit übertreffen – „wir unterlassen es tunlichst, irgendwie auf uns aufmerksam zu machen – wir sind noch nicht bereit“, sagt Stéphane.

Musik in den Ohren der Geldgeber, dürfte man annehmen. Doutriaux, der bereits vor zehn Jahren in Montreal sein erstes Startup gegründet hat, hat vor einem Jahr in der Schweiz drei Millionen Franken Kapital aufgenommen – darunter das volle Programm von „VentureKick“, dem Fördersystem des Instituts für Jungunternehmen. „Wir reden hier nicht von einer Web-Firma mit drei Programmierern, die in einer Garage vor sich hin coden“, erklärt Stéphane: „Wir haben ein physisches Produkt, wir mussten die Elektronik und Designs entwerfen, einen Standort in China finden, Werkzeuge und Produktion aufbauen. Dazu sind happige Investitionen nötig.“

Für ihn sei das alles kein Neuland gewesen. Stéphane war zuvor jahrelang als Marketingleiter Laserprinter für Epson in Europa im Hardwaregeschäft tätig und hatte alle nötigen Insiderkenntnisse. „Mit dem reinen Software-Hintergrund ist das nicht zu machen.“

Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass Pokens explodierende Umsätze auf dem Erfolg der sozialen Netzwerke aufbaut, die aber irherseits vielfach noch kein profitables Geschäftsmodell haben.

„Ich habe in Lausanne am IMD meinen MBA gemacht. Und nach einem Jahr des Studiums ist mir aufgefallen, dass ich zwar viele Leute kennengelernt, aber kaum Connections in den Webplattformen hatte.“ Also sagte er sich, dass die Verknüpfung mit andern Leuten schneller und einfacher gehen müsse – wie ein Handschlag. Den symbolisiert jetzt die Hand mit dem Funkchip in den Poken, die man zum Austausch der Daten gegeneinanderhalten muss.

Als nächstes sollen einige der dreihundert Millionen Amerikaner die gute, alte Visitenkarte gegen einen Handshake ihrer Poken austauschen. Die Vorbereitungen dazu laufen am Pier 38 in San Francisco.